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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Bäcker. Man mußte sich bei einem von beiden registrieren lassen und konnte dann nur noch bei dem das Brot holen. Rein theoretisch hätte diese Methode klappen müssen: Soundsoviel registrierte Kunden – soundsoviel Portionen Brot. In der Praxis stellte sich allerdings heraus, daß immer zu wenig Brot da war, und wenn die letzten hundert oder hundertfünfzig Personen nach stundenlangem Anstehen an die Reihe kamen, gingen sie leer aus. So war natürlich jeder bestrebt, morgens als erster am Futtertrog zu stehen, aber diesen Vorteil genossen immer nur diejenigen, die in unmittelbarer Nähe der Ladenstraße wohnten. Wenn morgens um acht Uhr die Kirchenglocke das Ende der Ausgangssperre signalisierte, stürzten aus sämtlichen Haustüren die Bewohner und rannten zu den Bäckerläden. Innerhalb von Minuten bildete sich eine endlose Schlange, deren Ende wir manchmal schon sehen konnten, wenn wir noch die Riemeisterstraße hinunterrasten.
    Nach Absolvierung einiger Probeläufe hatten wir Lothar als den spurtschnellsten Sprinter ermittelt, und so hockte er jeden Morgen kurz vor acht in seinem Startloch neben der geöffneten Haustür, um beim ersten Glockenschlag loszustürmen und wenigstens einen Mittelplatz in der Brotschlange zu sichern. Unmittelbar nach ihm setzte sich Frau Hülsner in Bewegung, damit sie ihren Filius so bald wie möglich ablösen konnte, denn Kinder wurden oft und gerne aus der Schlange herausgedrängelt. In regelmäßigen Abständen marschierten neue Ablösungen los, und wenn das Ende der Wartezeit abzusehen war, trabten noch ein paar Hausbewohner an, um das so mühsam erkämpfte Brot nach Hause zu tragen.
    Da kein Mensch absehen konnte, wie lange die katastrophale Versorgungslage anhalten würde, und jeder vermutete, daß wir auch in Zukunft nicht gerade im Überfluß leben würden, mußten wir also zusätzliche Nahrungsmittelquellen erschließen. Und so verwandelte sich halb Berlin in einen Schrebergarten. Jedes Stückchen Erde wurde mit Kohl und Kartoffeln bebaut, und auch bei uns gab es plötzlich lauter Kleingärtner. Anfangs beschränkte sich der Ackerbau auf die Balkonkästen, die nun statt Petunien und Geranien Tomatenstauden und Schnittsalat hervorbrachten; aber bald dehnte sich die Flurbestellung auch auf Herrn Lehmanns heilige Kuh aus. Die Rasenflächen hinter den Häusern wurden umgegraben, parzelliert und bepflanzt. Später, als die Russen abgezogen und die Amerikaner in Zehlendorf etabliert waren, dehnten sich die Schrebergärten auch an den Waldrändern entlang aus und reichten sogar noch mehrere hundert Meter tief in den Wald hinein. Da wickelten sich dann Erbsenstauden an den Kiefernstämmen hoch, kleine Schößlinge wurden von Stangenbohnen zugedeckt, und neben der Tannenschonung wuchsen Tomaten.
    Während der Erntezeit patrouillierten nachts die Kleingärtner um ihre Areale, bewaffnet mit handfesten Stöcken und eskortiert von Hunden jeglicher Rasse, die aber auch immer dann losbellten, wenn sie ein Wildkaninchen aufspürten. Ihre Besitzer wurden jedesmal in helle Aufregung versetzt, weil sie den vermeintlichen Gemüsedieb nicht finden konnten.
    Omi bepflanzte ihr Stück Garten überwiegend mit Kartoffeln. Die machten am wenigsten Arbeit, waren nahrhaft und sättigend und stellten auch nur geringe Ansprüche an Omis gärtnerische Fähigkeiten. Tante Else setzte Kohl. Daß er zum größten Teil von Raupen gefressen werden würde, konnte sie ja nicht ahnen.
    Onkel Paul und Opi zogen Tabak. Dieses bis dato in Berlin völlig unbekannte Gewächs wurde innerhalb eines Jahres im gesamten Stadtbereich kultiviert, gehätschelt, gepflegt und eifersüchtig bewacht. Jeder Tabakpflanzer hatte seine eigene Methode, wie die ausgereiften Blätter getrocknet, fermentiert und weiterbearbeitet werden mußten, aber das Endprodukt war überall das gleiche: eine krümelige Masse, die sich selten zu einer richtigen Zigarette drehen ließ und allenfalls in eine Pfeife gestopft werden konnte. Opi, früher leidenschaftlicher Zigarrenraucher, wechselte dann auch seine Gewohnheiten und kratzte jetzt mit Vorliebe am Wohnzimmertisch die stinkenden Überreste aus dem Pfeifenkopf heraus, was Omi stets ungeheuer ärgerte.
    Bei uns wurden die reifen Tabakblätter auf Strippen gefädelt und dann unters Dach auf den Trockenboden gehängt. Das ging so lange gut, bis Onkel Paul eine rapide Abnahme seiner Ernte feststellte. Weil er aber keine Lust hatte, auf den Dachboden zu ziehen und seine Blätter zu bewachen,

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