Pellkartoffeln und Popcorn
verzichtete er auf diese bequeme Trockenanlage und hängte das Zeug längs und quer durch die Küche. Da war es noch am wärmsten. Wir gewöhnten uns daran, nur noch in gebückter Haltung am Herd zu hantieren, aber es ließ sich doch nicht ganz vermeiden, daß gelegentlich mal ein trockenes Blatt in die Mehlsuppe fiel, was ihren Geschmack auch nicht verbesserte.
Wir Kinder wurden, wie weiland Hänsel und Gretel zum Beerensuchen geschickt. Daraus konnte man Marmelade kochen. Mangels geeigneter Geliermittel blieb diese Marmelade aber immer flüssig und hätte zweckmäßigerweise mit dem Löffel gegessen werden müssen; aber sie ergab zumindest eine Art von Brotaufstrich.
Nun gab es in unserer Gegend eigentlich nur unten im Fenn Beerensträucher. Dieses Gebiet lag noch ein ganzes Stück jenseits der Rodelbahn, und obwohl wir inzwischen keine Angst mehr vor den Russen hatten, sollten wir vorsichtshalber nicht allein so tief in den Wald hineingehen (also doch nicht Hänsel und Gretel!). Manchmal kam Frau Hülsner mit, die als einzige von uns alle Pilze kannte und gelegentlich sogar ein paar eßbare fand; manchmal schlossen wir uns auch der Holzbeschaffungs-Brigade an, und ein paarmal konnte ich sogar Mami zum Mitkommen überreden, die an sich für Spaziergänge nichts übrig hatte.
So kamen wir einmal mit einer halbgefüllten Milchkanne voller Himbeeren über die Rodelbahn geschlendert und liefen einigen Russen in die Arme, die sich mit einem offensichtlich geklauten Akkordeon amüsierten und sich begeistert auf die Schenkel schlugen, wenn sie dem Instrument mit vereinten Kräften ein paar quietschende Töne entlockten. Sie winkten uns heran und bedeuteten durch Zeichen, daß Mami etwas spielen sollte; offenbar waren auch sie der Ansicht, nahezu alle Deutschen könnten nahezu alles. Diese Erfahrung hatten wir schon des öfteren gemacht.
Die Soldaten hatten Glück. Meine Mutter konnte tatsächlich Akkordeon spielen; und so bewaffnete sie sich bereitwillig mit dem Instrument, spielte einen Straußwalzer und Lili Marleen und dann noch etwas Russisches. Ihre Zuhörer waren begeistert. Als sie das Akkordeon wieder zurückstellen wollte, erntete sie vierstimmigen Protest. Also noch mal was von Strauß, dann kam der Rote Mohn von Michael Jary dran und das Blümelein Erika, aber damit war ihr Repertoire auch erschöpft.
Die Russen klatschten Beifall, steckten ihr Machorka zu, jenen beißenden Tabak, der an kleingehackte Holzspäne erinnert, und zum Schluß drückte ihr einer der Soldaten das Akkordeon wieder in die Hände. Mami stellte es zurück. Der Russe fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, und wurde sichtlich wütend, als wir noch immer nicht kapierten, was er wollte.
»Sie sollen das Ding mitnehmen«, übersetzte schließlich Klaus, der sich uns angeschlossen hatte. Seine Kenntnis der Zeichensprache verdankte er einer taubstummen Tante, mit der er sich schon als kleiner Junge mühelos ›unterhalten‹ konnte, während wir danebenstanden, nichts begriffen und uns köstlich amüsierten.
»Du meinst, er
schenkt
mir das Akkordeon?«
»Es sieht ganz so aus. Jetzt nehmen Sie das Ding schon, und dann nichts wie weg, sonst überlegt er sich die Sache noch mal.«
Mami setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, sagte »spassibo« – das heißt ›danke‹ und gehörte damals zum Vokabular eines jeden Berliners – schnappte sich das schwergewichtige Instrument und strebte davon.
»Sei froh, daß es kein Klavier war«, meinte Tante Else, als Mami ihr die ganze Geschichte erzählt hatte.
Solche und ähnliche Sachen sind also tatsächlich passiert, wenn ich auch die meisten der später kolportierten Histörchen über Naivität und Unwissenheit der russischen Soldaten für frei erfunden halte. Aber einige waren sehr gut erfunden. Ich habe jedoch selbst einmal gesehen, wie ein Russe ein Stück Blutwurst in Zilligs Toilette legte, an der Kette zog, und dann in den Keller rannte, um festzustellen, wo die Wurst zum Vorschein kommen würde. Ob er wohl jemals begriffen hat, weshalb er sie nicht wiederfinden konnte?
20
Der russische Bezirkskommandant, oder welche Funktion der bei uns ansässige General auch immer haben mochte, ordnete eines Tages an, daß die Zivilbevölkerung nun endlich auch etwas arbeiten sollte. Weil ihm aber nichts Besseres einfiel, kam er auf den etwas abwegigen Gedanken, die reichlich verwilderten Vorgärten könnten erst einmal in Ordnung gebracht werden. Dieses habe unter Mitwirkung aller Hausbewohner
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