Pellkartoffeln und Popcorn
innerhalb einer Woche zu geschehen.
Also zupften wir zwei Tage lang Unkraut, beschnitten die Hagebutten, hackten Brennesseln aus dem Boden – und waren am dritten Tag schon wieder arbeitslos.
Der Herr General, mit der hinlänglich bekannten deutschen Gründlichkeit wohl doch nicht ganz vertraut, schien überrascht; schließlich waren uns zur Erfüllung unseres
Solls doch sieben Tage zugebilligt worden. Aber natürlich war gegen die Übererfüllung nichts einzuwenden. Auch gut, dann sollten wir jetzt gefälligst Fahnen nähen!
Wie bitte?
Jawohl, und zwar habe jedes Haus jeweils eine Fahne der vier Siegermächte abzuliefern, also eine russische, eine englische, eine amerikanische und eine französische. Man werde den Flaggenschmuck anläßlich der geplanten Siegesparade benötigen.
»Und diese Parade findet ausgerechnet in der Riemeisterstraße statt?« zweifelte Mami. »So einen Massenauftrieb organisiert man doch unter den Linden oder meinethalben auf dem Kudamm, aber nicht hier.«
Egal, Befehl ist Befehl! Und außerdem marschierten unsere Besatzer ja schon seit Tagen im Stechschritt auf der Straße herum, immer bis zur Litfaßsäule und zurück, stundenlang.
»Vielleicht ist an den Gerüchten wirklich etwas dran, wonach Berlin in Sektoren aufgeteilt und von allen vier Siegermächten besetzt werden soll«, orakelte Onkel Paul, bei dem alle Neuigkeiten zuerst landeten, und die er dann, gestaffelt nach ihrem möglichen Wahrheitsgehalt, optimistisch oder mit zurückhaltenden Untertönen weitergab.
»Das glaubst du doch selber nicht«, wandte Mami ein, »die Russen rücken doch nicht freiwillig einen Teil von Berlin heraus, nachdem sie es so mühsam erobert haben!«
»Kann mir mal jemand verraten, woher wir den Stoff für diese dämlichen Fahnen nehmen sollen?«
»Eine russische haben wir doch schon«, erinnerte Mami und kramte in der hintersten Schrankecke nach der demontierten Hakenkreuzfahne. Endlich hatte sie die zusammengerollte Stoffbahn gefunden.
»Die können wir doch nicht nehmen«, protestierte Tante Else, »der helle Fleck in der Mitte fällt viel zu sehr auf.«
»Da pinsele ich einfach Hammer und Sichel drauf.«
»Das Emblem gehört aber in die Ecke«, berichtigte Onkel Paul.
»Na und? Bin ich vielleicht ein Russe? Woher soll ich das also wissen? Die sollen froh sein, wenn ich das Zeug überhaupt draufmale.«
Eine
Fahne hatten wir also, blieben noch drei übrig.
»Wenn wir von der roten unten ein Stück abschneiden, hätten wir schon mal das Drittel von der französischen Flagge«, überlegte Tante Else weiter. »Weißen Stoff habe ich noch von dem Bettlaken übrig, das wir neulich aus dem Fenster gehängt haben, aber blau…?«
»Ist nicht ein Rest von meinem Jackenkleid da?«
»Aber Mädel, das ist doch hellblauer Stoff!«
»Ist doch wurscht, Hauptsache blau.«
Dieser Meinung war auch Frau Bennich. Sie hatte die Näharbeiten für das Nachbarhaus übernommen und wollte sich Tante Elses fachmännische Assistenz sichern.
»Wie viele Streifen hat eigentlich die amerikanische Fahne?«
»Keine Ahnung, Paul; sieh doch mal im Lexikon nach!«
In den folgenden Tagen lief die Nähmaschine auf Hochtouren. Tante Else nähte rote Streifen und weiße Streifen und etwas breitere blaue Streifen für die englische Fahne, bis irgend jemand sie darauf aufmerksam machte, daß diese Flagge rote Streifen auf blauem Grund habe und nicht umgekehrt; Tante Else schnitt ab und stückelte an, säumte von rechts und von links, weil die Fahnen von beiden Seiten einwandfrei sein mußten, aber irgendwann hatte sie es tatsächlich geschafft! Alle vier Fahnen waren fertig, und wenn die Sichel auch mehr einem Bumerang glich, so war zumindest Mamis guter Wille erkennbar. Jetzt fehlten nur noch die 48 Sternchen, aber Tante Else erklärte, die Amis könnten sich ihre symbolisierten Staaten sonstwohin stecken, sie jedenfalls dächte nicht daran, auch noch Sterne zu nähen.
Ein findiger Malermeister, der in seiner Garage Am Hegewinkel eine provisorische Werkstatt eingerichtet hatte, paßte sich der Konjunktur erstaunlich schnell an. Er bastelte sich eine Schablone und war bereit, für den Gegenwert von zwanzig Reichsmark weiße Sternchen auf jedes Stoffstück zu pinseln, das man ihm vorlegte. Daß diese ganze Pracht beim ersten Regenschauer in breiten Rinnsalen über die Fahnen laufen würde, sagte er jedoch nicht.
Zur Zeit schien allerdings Tag für Tag die Sonne, und wir mußten unter der Oberaufsicht irgendeines
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