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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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daß auch er von diesen niedlichen Tierchen befallen war, jeder verschwieg ängstlich diese blamable Tatsache und kratzte sich nur ganz verstohlen am Kopf. Allein Frau Brüning war nicht so zartfühlend. Sie erkundigte sich eines Mittags im Treppenhaus lautstark bei Frau Bennich: »Haben Sie auch schon Läuse, oder kommen die bloß zu Rothaarigen?«
    Omi wagte sich nicht mehr aus dem Haus, wusch sich zweimal täglich die Haare, goß Petroleum drüber, bearbeitete ihre Kopfhaut mit Schmierseife und verordnete den unerwünschten Schmarotzern Dunkelhaft, indem sie Tag und Nacht ein Kopftuch trug. Die Läuse störte das nicht im geringsten. Mami wälzte das Lexikon, las sich durch eine halbseitige Abhandlung über diverse Ungezieferarten und wußte zum Schluß alles über Vorkommen, Vermehrung und Nissenbildung von Läusen, aber nichts über die Ausrottung derselben. Auch Omis medizinisches Standardwerk, ein schwergewichtiges Buch von über tausend Seiten mit dem beziehungsreichen Titel ›Die Frau als Hausärztin‹, erschienen im Jahre 1909, wußte nur zu berichten, daß man Läuse mit handelsüblichen Präparaten bekämpft. Normalerweise geht man wohl in solchen Fällen in die Apotheke und kauft etwas Handelsübliches. Die Apotheke in der Ladenstraße war jedoch noch geschlossen.
    »Rücken wir doch dem Apotheker auf die Bude«, entschied Frau Brüning, suchte im Telefonbuch die Adresse heraus und machte sich mit Mami auf den Weg. Der Apotheker bedauerte, er habe leider nichts, womit er den Damen behilflich sein könne. Als Mami das vorsichtshalber mitgenommene Tütchen Tee aus der Tasche holte, erinnerte sich der gute Mann an sein Labor, in dem möglicherweise noch der Rest eines entsprechenden Mittels stehen könnte.
    »Wenn es ein bißchen mehr ist als nur ein Rest, dann wäre mir dieses Mehr sogar ein paar Zigaretten wert«, ermunterte Frau Brüning den Pharmazeuten zu gründlicher Suche. Der Mann wurde fündig; und wir wurden unsere Läuse wieder los, denn der erbeutete Schatz reichte für alle.
    Kurz darauf erfuhr ich endlich was Krätze ist, jenes geheimnisvolle Leiden, das man mir seinerzeit in Prag andichten wollte. Anfangs hielt ich die kleinen Pickelchen zwischen den Fingern für Insektenstiche, aber als sie immer zahlreicher wurden, kamen mir Zweifel. Die medizinisch vorgebildete Omi konnte sich zwar auch nicht zu einer Diagnose entschließen, meinte aber, daß Babypuder nie verkehrt sein könnte, bestäubte meine Hände und verordnete Handschuhe. Und das bei dreißig Grad im Schatten! Schließlich ging Mami mit mir zum Arzt, der nach einer kurzen Untersuchung feststellte, daß es sich bei meinem Ausschlag um
Skabies
handelte. Das klang nun zwar vornehmer als Krätze, bedeutete aber dasselbe und war auf mangelnde Hygiene zurückzuführen. Haha! Immerhin gab er uns eine Salbe mit, die sogar half, und bald war ich das mißliebige Leiden los.
    Aber dann bekam ich die Ruhr. Onkel Paul, der Held aus dem Ersten Weltkrieg, erkannte sofort die Symptome – bei unseren damaligen kriegsbedingten Krankheiten galt er als der einzige kompetente Ratgeber – und holte einen Arzt. Der zog einen zweiten hinzu. Nach einer Woche rief Mami den dritten. Alle waren sich in der Diagnose einig, sie variierten lediglich in den Therapie-Anordnungen. Der eine verbot den Genuß von Zucker, der andere gestattete ihn; aber das war letztlich egal, wir hatten sowieso keinen. Einer empfahl rohe geriebene Äpfel, die wir auch nicht hatten, der zweite Haferschleim, der dritte salzreiche Kost. Auf meinem Nachttisch häuften sich Medikamente, die alle scheußlich schmeckten und nicht halfen. Schließlich eröffnete Arzt Nr. 2 der entsetzten Familie, daß nun wohl nichts mehr zu machen sei und man mich in Frieden sterben lassen solle. »Tja, wenn Sie zwei oder drei Kubikzentimeter reines Opium auftreiben könnten …«
    Mami wandte sich an den russischen Hauptmann. Der bedauerte aufrichtig, nicht helfen zu können, und verschaffte ihr eine Audienz beim General. Der bedauerte ebenfalls und drückte Mami zum Trost eine Dose Schmalzfleisch in die Hand. Der Apotheker war durchaus an dem Schmalzfleisch interessiert, aber Opium hatte auch er nicht. Und dann fiel Mami der Schwarzhändler ein, der ja angeblich alles besorgen konnte. Anderthalb Tage später hatte sie das Opium und Herr Knappstein ihren Brillantring. Ich erholte mich – zwar langsam –, aber ich erholte mich, und schließlich konnte ich mich erneut im Dienste der Gemeinschaft

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