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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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»Die Amis kommen! Die Russen ziehen ab!« Diese Neuigkeit pflanzte sich mit gewohnter Schnelligkeit fort, und wer noch immer nicht so recht daran glauben wollte, wurde bald eines Besseren belehrt. Im Wald begann ein geschäftiges Treiben. Als erstes krochen die Panzer zwischen den Bäumen hervor und verschwanden Richtung Avus. Dann wurden die Zelte abgebaut und auf heranrollenden Lastwagen verstaut. Die Soldaten flitzten wie Ameisen hin und her, Offiziere brüllten und trieben ihre träge gewordenen Untergebenen mit Fußtritten voran. Die eine Gulaschkanone blieb an einer Baumwurzel hängen und zerfiel in mehrere Teile, drei aufgescheuchte Pferde galoppierten wiehernd die Straße entlang… es herrschte ein grandioses Durcheinander.
    Mami beobachtete allerdings stirnrunzelnd von Omis Küchenfenster aus, wie vereinzelte Soldaten in die umliegenden Häuser gingen und nach kurzer Zeit mit Decken oder Wäsche beladen wieder zum Vorschein kamen. Manche schleppten auch Koffer oder schwere Taschen; aber alle strebten im Eilschritt den wartenden Lastwagen zu, wo sie ihre Beute abluden.
    »Ich werd’ verrückt, die fangen an zu plündern!«
    Im selben Augenblick kam Tante Else die Treppe heraufgestürmt und schrie aufgeregt: »Reni, komm schnell, da unten sind zwei und räumen die Schränke aus. Den Koffer haben sie schon!«
    Wir rasten in unsere Wohnung und konnten uns gerade noch den beiden Soldaten in den Weg stellen, die sich mit Badetüchern und einem Stapel Bettbezügen aus dem Staube machen wollten. Als sie Mami sahen, warfen sie die Sachen eilig auf den Boden und liefen überstürzt weg.
    »Aber den Koffer bist du los!« wiederholte Tante Else.
    »Haben sie etwa die Stoffe mitgenommen?«
    »Das sage ich doch die ganze Zeit!«
    Bei den Stoffen handelte es sich um englische Ware, die Mami auf vermutlich recht finsteren Wegen in Frankreich beschafft und nach Hause geschmuggelt hatte. Den Koffer hütete sie wie ihren Augapfel, denn sein Inhalt war nach damaligen Verhältnissen ein kleines Vermögen wert.
    »Na warte, den Kerl greife ich mir. Hast du den Hauptmann noch irgendwo gesehen?«
    Tante Else bestätigte, daß unser Fünfuhrtee-Gast vor kurzem noch die Straße entlanggetrabt sei. Mami begab sich auf die Suche, fand ihn und erhob wortreich Anklage. Ob sie die beiden Soldaten wiedererkennen würde? Aber selbstverständlich!
    Der Hauptmann ließ antreten und schritt zusammen mit ihr die Reihen ab. Es sah aus wie beim Empfang eines Staatsgastes, allerdings bezweifle ich, daß meine Mutter ähnlich feierliche Empfindungen hatte. Schließlich zeigte sie auf einen Russen, der dann auch merklich zusammenzuckte. Der Offizier zerrte ihn aus dem Glied, versetzte ihm ein paar schallende Ohrfeigen und scheuchte ihn mit Fußtritten Richtung Lastwagen. Dann brüllte er ihm etwas zu, ließ die übrige Mannschaft wegtreten, verbeugte sich formvollendet vor Mami und enteilte.
    Der ertappte Dieb brachte dann auch tatsächlich den geklauten Koffer zurück und stellte noch einen zweiten daneben. Dabei versicherte er wütend: »Ich zurückkommen, dann du Sibiria.«
    Auf eine derartige Reise legte meine Mutter aber nicht den geringsten Wert und blieb vorsichtshalber in der Wohnung, bis auch die letzte russische Uniform verschwunden war.
    Wir haben noch wochenlang versucht, den rechtmäßigen Besitzer des zweiten Koffers zu ermitteln, aber es gelang uns nicht. So gingen die beiden Silberleuchter und die Kuckucksuhr auch den Weg allen Irdischen, was damals hieß: sie wurden ›verkauft‹.
21
    »Auf der Argentinischen Allee kommen sie!« Lothar hatte schon am frühen Nachmittag in der Nähe des U-Bahnhofs Posten bezogen, und nun kam er zurückgehastet, um die ersten Neuigkeiten loszuwerden. »Die sehen überhaupt nicht wie Soldaten aus! Neger sind auch dabei, und ganz ulkige Autos haben die, und einer hat mir etwas zugeworfen, was is’n das? Sieht so Schuing Gamm aus?«
    Er zog etwas Längliches aus der Hosentasche und ließ sich von Mami bestätigen, daß es sich hierbei tatsächlich um Kaugummi handelte. Mit einem etwas bedauernden Seitenblick auf mich brach er das Stück in der Mitte durch und reichte mir die eine Hälfte. Das Zeug erinnerte im Geschmack an den Fencheltee, den Omi mir früher immer bei Verdauungsbeschwerden eingetrichtert hatte; aber ich kaute trotzdem eifrig drauf herum und wunderte mich nur, daß es nicht weniger wurde.
    »Was macht man nun damit?« wollte ich wissen, denn jetzt schmeckte es nach gar nichts

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