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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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    »Weiterkauen!« erklärte Lothar und malmte wie eine widerkäuende Kuh.
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Weiß ich nicht. Sicher ist es gesund, die Amis kauen doch alle.«
    Von mir aus sollten sie doch, ich würde diese Leidenschaft bestimmt nicht mit ihnen teilen. Später habe ich auch wirklich nur noch gekaut, wenn es um die Straßenmeisterschaft ging, wer den Gummi am längsten ziehen konnte. Mangels Übung schied ich aber immer schon in der Vorrunde aus.
    Von nun an beherrschten die Amerikaner das Straßenbild, und wir staunten sie an wie Wesen von einem anderen Stern. Ihre Uniformen sahen aus, als seien sie maßgeschneidert – bei den Russen hatten wir immer den Eindruck gehabt, man hätte sie in ausgediente Getreidesäcke gewickelt, die nur durch das Koppel am Herunterrutschen gehindert wurden –, die Stiefel glänzten, und wenn sie im Ausgehanzug flanierten, schien jeder einzelne ein General zu sein. Außerdem hatten sie die Taschen voll Chewing-gum und Candies, und besonders kontaktfreudige Kinder hatten bald ›ihren‹ Ami, der sie regelmäßig belieferte. Sie erfreuten sich bei ihren Altersgenossen besonderer Hochachtung und notierten Vasallendienste je nach Wertschätzung mit viertel, halben oder sogar ganzen Kaugummis.
    Bei uns gehörte Maugi zu den Gummi-Königen. Allerdings beruhte sein nahezu unerschöpflicher Reichtum auf einem simplen Tauschgeschäft. Er hatte sein HJ-Fahrten- messer mit der Hakenkreuz-Raute verscherbelt und sich den Gegenwert in Kaugummis auszahlen lassen.
    Mit dem Einzug der Amerikaner änderte sich vieles. Wir bekamen wieder Strom. Die Amis brauchten schließlich auch welchen. Wir bekamen wieder Gas. Die Amis brauchten ja auch welches. Wir bekamen wieder sauberes Wasser aus der Leitung. Die Amis brauchten… Wir wurden entlaust, obwohl wir keine Läuse mehr hatten. Wir wurden geimpft. Ich weiß nicht mehr, wie oft und wogegen; aber an die Typhusspritzen erinnere ich mich noch deutlich. Die taten scheußlich weh, und hinterher hatte man tagelang eine dicke Beule auf der Brust. Die U-Bahn fuhr wieder, manchmal tauchte sogar schon ein Omnibus auf. Es gab keine Ausgangssperre mehr, und Übergriffe von randalierenden Soldaten, wie sie bei den Russen gang und gäbe gewesen waren, kamen natürlich auch nicht mehr vor. Wir liebten die Amerikaner. Aber nicht mehr lange.
    Die Vorhut unserer überseeischen Besatzer hatte sich im ehemaligen Luftgaukommando auf der Kronprinzenallee etabliert, die heute Clayallee heißt. Die dazugehörigen Gebäude reichten erst einmal aus, und wo nicht, wurden ein paar umliegende Villen requiriert, deren Besitzer meist Nazigrößen gewesen waren und jetzt in weit weniger komfortablen Unterkünften saßen. Dann kamen immer mehr Amerikaner, und die brachten ihre Angehörigen mit, denn ein geordnetes Familienleben garantiert bekanntlich Ruhe und Zufriedenheit. Es blieben ohnehin noch genügend Junggesellen übrig, die ihre völkerverbindenen Zukunftspläne erst einmal an deutschen Fräuleins ausprobieren konnten.
    Soldaten kann man kasernieren. Ehefrauen und Kinder nicht! Jenseits der U-Bahn Richtung Fischtal standen Einfamilien-Reihenhäuser, dazwischen ein paar kleinere Wohnblocks, aber die fielen kaum auf. Das fanden die Amerikaner offenbar auch. Sie beschlagnahmten kurzerhand das ganze Viertel und überließen es den ratlosen Beamten des schleunigst wieder installierten Wohnungsamtes, die ausquartierten Bewohner irgendwo unterzubringen. Viele hundert Familien erlebten jetzt das, was andere schon hinter sich hatten: Sie standen praktisch über Nacht auf der Straße. Die noch während der letzten Monate überall praktizierte Hilfsbereitschaft gab es kaum noch; so ziemlich jeder meuterte, dem jetzt Obdachlose zugewiesen wurden.
    Omi auch. Sie erschien bei uns unten und wedelte aufgeregt mit einem abgestempelten Papier herum. »Eine Frau mit Kind sollen wir bekommen, stellt euch das mal vor! Das Mädchen ist erst vier Jahre alt, und dabei ist der Karli doch so geräuschempfindlich!«
    (Erstaunlicherweise zeigte sich Karli später ganz friedlich, vor allem deshalb, weil Frau Niems tagsüber arbeitete, ihre Tochter morgens zur Oma brachte und erst abends wieder abholte.)
    »Wo sollen die überhaupt schlafen, und was soll ich mit den ganzen Möbeln machen?« lamentierte Omi weiter.
    »Stell den Schreibtisch und den Alptraum von Bücherschrank auf den Boden, hol’ die alte Couch wieder runter und räum’ den kleinen Schrank im Schlafzimmer aus. Das ist

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