Pellkartoffeln und Popcorn
Eber vorbei nach Schmargendorf gepilgert, um festzustellen, ob und wie meine Großeltern den Zusammenbruch überstanden hatten.
Opa und Omimi ging es gut. Mein Großvater beklagte lediglich den Verlust seiner Doppeldeckel-Uhr, die er bis zuletzt in seliger Ahnungslosigkeit deutlich sichtbar in der Westentasche getragen hatte. Omimi vermißte seit der Hausdurchsuchung diverse Besteckteile, vorzugsweise solche, die sie nur an hohen Feiertagen und im Rahmen eines Festmahls zu benutzen pflegte.
Aber beide sahen elend aus. Opa, als preußischer Beamter korrekt bis ins Mark, lehnte jede Art von Tauschhandel, Schwarzmarktmanipulationen ab und wäre eher verhungert, bevor er sich auf derartige Machenschaften eingelassen hätte. Omimi war weniger zartbesaitet und steckte meiner Mutter im Laufe der kommenden Monate oft genug Dinge zu, die sich mit einiger Wahrscheinlichkeit verkaufen lassen würden. Wie sie die zusätzlichen Lebensmittel meinem Großvater erklären konnte, weiß ich nicht, aber es dürfte für sie wohl der schwierigste Teil des ganzen Unternehmens gewesen sein.
An einem nicht allzu heißen Julitag schlug Mami eine Wanderung nach Schwanenwerder vor. »Das bedeutet zwar einen Fußmarsch von drei bis vier Stunden; aber ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich an Elfi denke.«
Tante Else wollte mitkommen, und daraufhin schloß sich auch Omi der Expedition an. Sie hatte schon mehrmals reges Interesse an der ›Luxusvilla‹ bekundet.
»Am besten gehen wir an der Krummen Lanke vorbei zum Schlachtensee und dann querdurch.«
Also marschierten wir zur Krummen Lanke, anschließend zum Schlachtensee, und als wir bei
querdurch
angekommen waren, ging es nicht mehr weiter. Sperrgebiet. Also außen herum, wieder halb zurück, dann woanders querdurch – Omis Ortskenntnis ließ merklich nach –, aber schließlich landeten wir doch dort, wo wir hin wollten. Der kleine Spaziergang hatte fast fünf Stunden gedauert.
Tante Elfi lag draußen im Liegestuhl und sonnte sich. »Ja mei, gibt’s euch denn auch noch? I hab schon denkt, ihr seid’s in Sibirien!«
Das Innere der Villa war nicht wiederzuerkennen. In der Halle befanden sich ein paar Gartenstühle und ein dreibeiniger Tisch; das fehlende vierte wurde durch einen Stapel Notenhefte ersetzt. Das Treppengeländer bestand nur noch aus ein paar Holzstreben, und von dem Mobiliar der oberen Räume waren lediglich drei Schränke, einige Stühle und mehrere Betten übriggeblieben.
»Wer hat denn das alles weggeschleppt?« wollte Mami wissen, »zum Abtransport hätte man doch mindestens drei Möbelwagen gebraucht.«
»Die haben’s halt mit Lastwagen abg’holt. Dabei hab i mit den Leuten von gegenüber die Teppiche und dös ganze andere Zeugs doch noch in den Bunker g’schafft, und dann haben wir den Eingang so g’schickt kaschiert, daß den ka Mensch hätt finden können. Ich woaß net, wer dös Versteck ausgeplaudert hat. Plötzlich san dann die Russen mit ein paar Deutschen kommen und haben alles ausg’räumt. Sogar den Flügel haben’s mitg’nommen!«
»Und jetzt haust du ganz allein in diesem Riesenkasten?«
»Bis gestern net. Hier haben russische Offiziere g’wohnt, und deshalb hab i bisher noch g’nug zum Essen g’habt. Jetzt kann i bloß hoffen, daß bald a neue Einquartierung kommt.«
»Wo ist denn dein Edmund abgeblieben?«
»Ja, wann i dös wüßt! I denk mir halt, den haben’s hops g’nommen, weil der ja eh koa reine Weste g’habt hat. Weißt, Herzl, sobald es möglich ist, geh i nach Wien z’ruck, i hab von Preußen jetzt wirklich g’nug!«
(Dazu kam es allerdings nicht mehr. Elfi lernte noch in Berlin den späteren Erben einer Miederfabrik kennen, heiratete ihn und zog nach Los Angeles. Von dort schickte sie uns hin und wieder Care-Pakete und einmal sogar für Omi ein Korsett. Bei der Größenauswahl muß sie aber ihre früheren Proportionen im Auge gehabt haben, denn das Ding war viel zu groß. Und als es endlich paßte, gab es auch bei uns wieder Korsetts zu kaufen).
Bevor wir uns wieder auf den Heimweg machten, gestärkt mit kaltem Tee und russischem Kommißbrot, bot Mami ihrer Freundin nochmals Asyl an, handelte sich aber wieder einen Korb ein. »Du bist ein Schatz, aber i bleib jetzt hier. Wann i über’n Hund kommen bin, nachher komm i auch über den Schwanz. Und wann tatsächlich die Amis kommen, wie allweil g’redt wird, dann schaff ich’s eh schon allein. A bissel Englisch kann i noch.«
Und dann war es tatsächlich so weit!
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