Pellkartoffeln und Popcorn
doch nun wirklich kein Problem.«
»Aber das Kristall …«
»Kommt ins Wohnzimmer. Da wird’s dann zwar aussehen wie beim Trödler, aber wenn du nicht endlich einen Teil von dem ganzen Kram in den Keller stellen willst, wirst du dich irgendwie arrangieren müssen. Außerdem handelt es sich doch nur um eine Übergangslösung. Die Amis werden die Häuser ja nicht für immer beschlagnahmen.«
Vorläufig sah es allerdings so aus. Um das ganze Areal wurden meterhohe Stachdrahtzäune gezogen, und an den Zugängen standen Militärpolizisten, die nur Befugte passieren ließen. Befugt war jeder, der bei den Amerikanern in Lohn und Brot stand und dieses Privileg durch einen fahrkartengroßen Ausweis dokumentieren konnte.
Dann kam die Ladenstraße dran. Die Eingänge wurden vergittert, lediglich ein kleiner Durchschlupf blieb offen. Und schon erschienen Handwerker, brachen Wände durch, legten Kabel, tünchten Mauern, und innerhalb kürzester Zeit war unser ehemaliges Einkaufszentrum nicht mehr wiederzuerkennen. Da gab es eine große Wäscherei, eine Snackbar, eine Bank und vor allem einen PX-Laden, in dem die Amerikaner von Zahnpasta bis zu Ringelsocken alles kaufen konnten, was wir zum Teil nicht einmal den Namen nach kannten. Wenn wir auf dem U-Bahnhof standen, konnten wir ungehindert in dieses Schlaraffenland blicken, und jedesmal entdeckten wir etwas Neues und Ungewohntes. Das waren weniger die ausgestellten Herrlichkeiten, fast ausnahmslos farbenfreudig verpackt und von weitem nicht zu identifizieren; mehr noch interessierten uns die eigenartigen Einkaufsmethoden. In diesem ungewohnt großen Laden gab es überhaupt keine Verkäufer. Die Kunden griffen sich einen Drahtkorb auf Rädern, fuhren damit an den Regalen entlang, holten sich die gewünschten Waren heraus und packten sie in den Korb. Dann gingen sie zu einer der vier Registrierkassen und bezahlten.
»Bei uns wäre so was ganz unmöglich«, wunderte sich Tante Else, »da würde doch viel zuviel gestohlen werden. Man braucht ja bloß ein paar Sachen in die Einkaufstasche zu stecken, da paßt doch überhaupt kein Mensch auf!«
Aber die Amis kannten auch keine Einkaufstaschen, nicht mal Netze. Sie packten ihre Waren in riesige braune Tüten, mit denen sie schließlich aus dem Laden schwankten. Oben lugten meistens ein paar Stangen Zigaretten heraus, Deutschlands heimliche Währung, für die man auf dem schwarzen Markt von fabrikneuen Schuhen bis zu kanadischem Lachs nahezu alles bekommen konnte.
An Lachs waren wir allerdings weniger interessiert, uns hätten schon ein paar Pfund Zucker oder ein Sack Kartoffeln genügt. Wir waren nämlich alle einem bedauerlichen Irrtum verfallen, als wir beim Einzug der Amerikaner an die große Wende geglaubt hatten. Über die politischen Hintergründe von Berlins Vierteilung hatten wir uns damals noch nicht den Kopf zerbrochen. Wir hatten lediglich erwartet, daß jedes Land nunmehr allein für ›seinen‹ Sektor zuständig sein und ein edler Wettstreit ausbrechen würde, wer denn nun am Besten seine Schutzbefohlenen versorgen könnte. So ungefähr nach dem Motto: »Ätsch, in meinem Sektor kriegt jetzt jeder pro Woche ein Pfund Butter!« Und da die USA bekanntlich ein sehr reiches Land waren, sahen wir auch bei uns schon Milch und Honig fließen.
Um so größer war die Enttäuschung, als es einheitliche Lebensmittelkarten für ganz Berlin gab. Und die waren auch noch in fünf verschiedene Kategorien eingeteilt. Da gab es Karten für Schwerstarbeiter, die bekamen nur Männer; dann welche für Schwerarbeiter, für Angestellte, für Kinder unter fünfzehn und für Normalverbraucher. Alles, was nicht arbeitete, war Normalverbraucher, und die zugebilligten Nahrungsmittel wurden in Kalorien errechnet. Kaum jemand wußte, was das war, aber auf jeden Fall war es zu wenig.
Meine Mutter beschloß also, wieder einem Broterwerb nachzugehen, und dies im eigentlichen Sinne des Wortes. Die paar Mark, die zum Ankauf der rationierten Lebensmittel notwendig waren, besaßen wir ohnehin. Mami hatte noch vor Kriegsende sämtliche Sparkonten abgehoben und die Geldscheine zusammengerollt in einem hohlen Ziegelstein versteckt. Bei dem augenblicklichen Bedarf würde das Geld für die nächsten Jahre reichen!
In den Genuß der begehrten Schwerarbeiterkarten, die zumindest gewisse Überlebenschancen boten, kamen nur Trümmerfrauen, aber dazu fühlte sich Mami nun doch nicht berufen.
»Also, wenn ich mir vorstelle, daß ich acht Stunden lang
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