Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
wieder einen von ihnen erwischt hatte.
Aus dem Nebel tauchte eine stolpernde, ächzende Gestalt auf und versuchte, sich einen Pfeil aus dem Mund zu ziehen. Nicht weit davon führte ein Mann einen irren Veitstanz auf, und während er sich in seiner Qual wie ein Wurm wand und krümmte, war deutlich zu sehen, dass vier Pfeile in seiner Brust steckten. Sein verzweifelter Versuch, sie sich aus dem Fleisch zu ziehen, war vergeblich, denn während er noch an einem Pfeil zerrte, bohrten sich ihm drei weitere in den Rücken. Das Gemetzel war unbeschreiblich, die Luft war mit süßlichem Blutgeruch geschwängert.
Auch die Angreifer erlitten hohe Verluste, nicht nur unter den Kriegern, sondern vor allem unter den Pferden, die ein kaum zu verfehlendes Ziel boten. Irgendwo stand ein Pferd reglos, mit gesenktem Kopf da, und erst wenn man genau hinsah, war zu erkennen, dass ihm die dampfenden Eingeweide aus dem zerfetzten Bauch quollen.
Wieder eine Angriffswelle, wieder die gleiche Taktik. Sobald sich die Reihen der Verteidiger abermals gelichtet hatten, drehten die Cheyenne wie auf ein verabredetes Zeichen ab. Das Manöver war Teil einer raffinierten Zermürbungstaktik. Sobald die Verteidiger zögernd wagten, aus der Deckung zu kommen, galoppierte sofort die nächste Angriffswelle auf sie zu.
Die Gewehrschüsse fielen spärlicher, das Schwirren der Pfeile war zum beherrschenden Geräusch geworden. Und beimfünften Angriff war das Schicksal der Fünfundvierzig so gut wie besiegelt. Die Indianer brachten ihre Pferde zum Stehen, stiegen ab und durchkämmten die Reihen der stöhnenden, um Gnade flehenden Verwundeten. Aber die Cheyenne kannten keine Gnade, sie beugten sich über ihre Opfer, schnitten ihnen mit dem Messer die Kehle durch und nahmen sich ihren Skalp als Trophäe. Und als sich schon Friedhofsruhe ausbreiten wollte, fand eine Gruppe Cheyenne doch noch einen Überlebenden.
Es war Harry Beaumont, er hatte auf dem Boden gelegen und sich tot gestellt. Sie zerrten ihn auf die Beine, sein Flehen um Gnade verhallte ungehört in der dichten Staubwolke, die über der Szene waberte. Immer mehr Indianer scharten sich um ihn, stumm wie Spukgestalten, von keiner Hast getrieben. Beaumonts Flehen steigerte sich zu hysterischem Winseln, er brachte kaum noch ein klares Wort heraus. Und plötzlich packten sie ihn, hielten ihn mit eisernem Griff umklammert und zerrten ihm den Kopf nach hinten. Eine Klinge blitzte, ein gellender Schrei, ein Stück Fleisch fiel auf den Boden. Die Cheyenne säbelten an ihm herum, als wäre er ein Stück Holz, aus dem ein Totem geschnitzt werden sollte. Beaumonts gellende Schreie hatten nichts Menschliches mehr, und als sie nach einer Weile verstummten, war es, als seien sie an der nicht enden wollenden Qual und den unerträglichen Schmerzen erstickt.
Die Cheyenne ließen von Beaumont ab, sie hatten ihre grausige Arbeit getan, nun war es Zeit, ans Aufräumen zu gehen. Mit Hilfe von Lederriemen, die sie am Sattelzeug festhakten, schleppten sie zunächst ihre toten Pferde ab: eine gespenstische Prozession, die bald von der immer undurchdringlicheren Staubwolke verschluckt wurde. Andere hatten inzwischen Äste zusammengefügt, auf die sie ihre toten Krieger betteten und – am Sattelzeug der Pferde festgehakt – dahin schleiften, wo sie hergekommen waren und wo der Stamm von ihnen Abschied nehmen konnte. Es dauerte nur Minuten, bisnichts mehr von den Verlusten der Cheyenne Zeugnis geben konnte.
Von den Fünfundvierzig hatte nur Harry Beaumont überlebt. Aber das geschundene Bündel Fleisch, das wimmernd durch den Staubschleier irrte, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit ihm. Er hatte kein Gesicht mehr, weder Nase noch Ohren oder Lippen, auch die Kopfhaut und das Haar fehlten. Das Zerrbild, das von ihm geblieben war, glich einem blutenden Torso.
Nachdem er sich unter Qualen bis zu den Hügeln geschleppt hatte, sank er schluchzend auf die Knie und wiegte sich – den Kopf tief gesenkt, als wolle er mit dem Blut aus seinen Wunden den Boden tränken – mit irrem Blick vor und zurück. Und schließlich rang sich aus dem formlosen Loch, das ehemals ein Mund gewesen war, ein gequälter, halb erstickter Fluch: »Ihr verdammten Hundesöhne, ich verfluche den Boden, auf dem ihr mir das angetan habt! Ich verfluche ihn! Möge ihn das Blut aus meinen Wunden tränken, möge…«
Ein letztes Röcheln, dann fiel er mit dem geschundenen Kopf voran in den mit seinem Blut besudelten Staub.
Als der Wind abgeflaut war, der
Weitere Kostenlose Bücher