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Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens

Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens

Titel: Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
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Sicherheitsdienstes an der KSU nickte, als setze er das als selbstverständlich voraus. Seine Miene blieb unbewegt, aber Hazen war ein alter Fuchs, und er wusste, dass er sich in diesem Augenblick die unverbrüchliche Freundschaft eines Mannes erworben hatte, der ihm, wann immer es nötig war, auf dem Campus Tür und Tor öffnen würde.

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    Die Übung des Chongg Ran, zur Zeit der T’ang Dynastie von dem konfuzianischen Gelehrten Ton Wei erdacht, breitete sich später von China nach Bhutan aus, wo sie im Laufe eines halben Jahrtausends im Tenzin-Torgangka-Kloster, einem der am einsamsten gelegenen Klöster der Welt, weiterentwickelt und verfeinert wurde. Es ist eine Konzentrationsübung, in der die Kunst völligen Abschaltens und das Erleben hochsensibler Wahrnehmung verschmelzen, intellektuelle Erkenntnis und unverfälschtes Empfinden werden eins. Die erste Aufgabe eines Novizen besteht darin, sich Schwarz und Weiß gleichzeitig vorzustellen, ohne dass sich die beiden Farben miteinander vermischen und zu Grau werden. Hat der Novize diese Aufgabe erfüllt – und das gelingt nur jedem hundertsten –, werden die Anforderungen von Stufe zu Stufe höher geschraubt. Die Schüler müssen sich im imaginären Go-Spiel mit all seinen inneren Widersprüchen bewähren – eine Konzentrationsübung, die in neuerer Zeit mehr und mehr durch Schach oder Bridge ersetzt wird. In anderen meditativen Übungen lernen sie, sich gleichzeitig ihres intellektuellen Wissens und ihrer Unwissenheit bewusst zu sein, die gegenseitige Unabdingbarkeit von Leben und Tod zu begreifen und zu erkennen, dass es das Universum nicht ohne das Quark und dieses theoretische Elementarteilchen nicht ohne das Universum gäbe.
    Chongg Ran ist eine Übung in Antithesen. Sie führt nicht zur höchsten Stufe der Erkenntnis, aber sie bereitet den Weg zu diesem Ziel vor, indem sie den Schüler die unerklärliche Kraft des menschlichen Geistes spüren lässt.
     
    Pendergast lag auf dem Boden unter den Bäumen, die Sinne hellwach auf all das gerichtet, was ihn umgab. Er nahm den Duft von trockenen Kräutern wahr, litt unter der stickigen Hitze, spürte die Unebenheit seines Lagers und jeden Steinoder abgebrochenen Zweig, der sich ihm in den Rücken drückte. Er filterte aus der scheinbar gestaltlosen Kakofonie der Natur alle einzelnen Geräusche heraus, jedes Rascheln und Zirpen, jeden noch so schwachen Flügelschlag eines Insekts und sogar die Atemzüge seiner Assistentin. Mit geschlossenen Augen visualisierte er seine Umgebung so wirklichkeitsgetreu, dass ihm kein Detail entging. Und so fügte er wie ein blinder Seher die Einzelheiten zu einer imaginären Landschaft zusammen: die Bäume, die drei Hügel, das Spiel von Licht und Schatten, die Maisfelder, die sich im Hintergrund erstreckten, das prächtige, lautlose Feuerwerk des fernen Wetterleuchtens – die Luft, den Himmel, die fruchtbare Erde.
    Nachdem er so die Elemente der Landschaft vollständig in sich aufgesogen hatte, konnte er beginnen, eines nach dem anderen aus seinem Bewusstsein zu löschen. Er fing mit den Gerüchen an, eliminierte nacheinander den vielschichtigen Duft, den die Pappeln verströmten, den feuchten Erdgeruch, den auffrischenden Wind, der den nahenden Sturm ankündigte, und die ineinander verschlungenen Gerüche von Gras, Laub und Staub. Und während er das tat, blieben alle anderen Wahrnehmungen unverändert erhalten: die piksenden Zweige, die unbarmherzige Hitze, und als ihm eine Ameise über den Handrücken kroch, spürte er das Kribbeln.
    Dann waren die Geräusche und Laute an der Reihe. Zuerst blendete er das Summen und den kaum wahrnehmbaren Flügelschlag der Insekten aus, danach das Rascheln der Blätter, das beharrliche Klopfen eines Spechts, die Lockrufe der Vögel, das ferne Donnergrollen und schließlich sogar die kaum merkliche Bewegung der Luft.
    Das in ihm gespeicherte Bild der Landschaft blieb unverändert, aber das Fleckchen Erde, das ihn umgab, war plötzlich in lautlose Stille getaucht.
    Der nächste Schritt bestand darin, das Empfinden der eigenen Körperlichkeit abzustreifen: das angeborene Bewusstsein,einen Körper zu haben und in jeder Situation zu wissen, was dieser zum Symbol des eigenen Ich gewordene Körper gerade tut. Damit begann die entscheidende Konzentrationsübung.
    Pendergast löschte die Landschaft Stück für Stück aus, und zwar in der umgekehrten Reihenfolge, in der er sie wahrgenommen hatte. Zuerst ließ er die Straße verschwinden, dann die

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