Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
Stelle, an der Pendergast gelegen hatte. Vielleicht fand er dort einen nützlichen Fingerzeig, der ihn ein bisschen schlauer machte. Fehlanzeige, alles sah so aus wie immer. Ludwig zückte das Notizbuch und wollte anfangen, etwas hineinzukritzeln. Aber dann ließ er den Stift sinken. Wollte er sich selbst auf den Arm nehmen? Himmeldonnerwetter, hier draußen gab es keine Story, wann würde er das endlich kapieren? Wenn er ein gutes Werk tun wollte, fuhr er schleunigst nach Hause und schenkte dem Bürschchen vom
Globe
reinen Wein ein, auch wenn er ihn damit bitter enttäuschen musste.
Im Wind ächzten die Äste, das Gras wisperte geheimnisvoll, die Baumkronen fingen zu schwanken an. Die Erde roch feucht, die Luft war ungewohnt frisch, vermischt mit dem Duft von Wildblumen. Irgendwo in der Ferne war leises Donnergrollen zu hören. Es war so dunkel geworden, dass Ludwig einen Moment lang die Sorge beschlich, womöglich sein Auto nicht wieder zu finden. Aber dann beruhigte er sich damit, dass er die Gegend aus Kindertagen wie die eigene Westentasche kannte, und Kindheitserinnerungen verblassen bekanntlich nicht so schnell. Also marschierte er, den Jackettkragengegen den Wind hochgeklappt, guten Mutes den Pfad hinunter.
Nach ein paar Schritten blieb er stehen. Er hatte rechts von sich ein Geräusch gehört, das ihm seltsam vorkam. Na ja, was sollte das schon sein? Wahrscheinlich hatte irgendein Tier im Unterholz geraschelt.
Er wartete, ging einen Schritt weiter, dann noch einen…und auf einmal hörte er etwas knacken, als habe jemand den Fuß auf einen dürren Ast gesetzt. Nur,
sein
Fuß war es mit Sicherheit nicht gewesen.
Er blieb wieder stehen, aber das Rascheln der Blätter und der auffrischende Wind verschluckten alle anderen Geräusche. Nach einer Weile ging er weiter. Und da hörte er wieder rechts von sich Schritte. Diesmal war kein Irrtum möglich.
»Wer ist denn dort drüben?«
Der Wind heulte, die Pappeln ächzten.
»Pendergast?«
Keine Antwort. Er ging weiter, und im selben Augenblick hörte er – nein, er spürte es geradezu körperlich –, dass sich neben ihm etwas bewegte. Ein eiskalter Schauder lief ihm über den Rücken.
»Hören Sie, wer Sie auch sein mögen, ich weiß, dass Sie hier sind!«, rief er, so laut er nur konnte, ins Dunkel und legte einen Schritt zu. Aber das Knacken und Rascheln hörte nicht auf, es blieb auf gleicher Höhe mit ihm.
Unwillkürlich fiel ihm eine Bibelstelle aus Kindertagen ein: »…denn der Teufel schleicht umher wie ein brüllender Leu und sucht, wen er verschlingen könne…«
Er merkte an seinen hechelnden, überhasteten Atemzügen, dass er immer mehr in Panik geriet. Gleich, versuchte er sich zu beruhigen, gleich bin ich im Maisfeld! Denn irgendwie hätte er sich zwischen zwei hohen Wällen aus Maisstängeln sicherer gefühlt. Vom Maisfeld waren es nur noch rund siebzig Meter bis zur Straße und dann noch mal vierzig bis zu seinem Wagen.
Großer Gott, was waren das bloß für stampfende, schwerfällige Schritte?
»Zum Teufel, hau endlich ab!«, rief er über die Schulter nach hinten. Er hatte nicht schreien wollen, es war ihm unwillkürlich so gellend laut herausgerutscht. Und genauso unwillkürlich verfiel er nun in hastigen Trab. Er war zu alt und zu ungeübt im Laufen, kein Wunder, dass sein Herz wie verrückt raste. Aber selbst wenn er sich befohlen hätte, in normalem Tempo weiterzugehen, seine Beine hätten ihm bestimmt nicht gehorcht.
Irgendwo im Dunkel neben ihm fing sein Verfolger ebenfalls zu traben an. Ludwig hörte ihn atmen. Ein vernehmliches Schnauben, das sich dem Takt der Schritte anpasste.
Ludwig überlegte fieberhaft. Er konnte jetzt leicht in das Maisfeld eintauchen. Aber die Stängel wurden so vom Wind gebeutelt, und er hätte vor lauter Rascheln nicht mehr gehört, ob der Unbekannte immer noch auf seinen Fersen war. Staub flog ihm in die Augen, am Himmel zuckte ein Blitz.
»Muh!«
Der blökende Laut kam ganz aus der Nähe. Er hallte ihm so gellend in den Ohren, dass ihm die Knie zitterten. Es hörte sich nach einer menschlichen Stimme an, aber zugleich klang es irgendwie unmenschlich.
»Hau ab! Was willst du von mir?«, schrie er und rannte schneller, als er es sich je zugetraut hätte.
»Muh, muh, muh!«
Das Zwitterwesen, wie Ludwig seinen Verfolger im Stillen nannte, musste direkt neben ihm sein.
Wieder ein Blitz, diesmal machte Ludwig im bleichen Licht die Umrisse einer Gestalt aus, die sich durch die dicht stehenden Reihen
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