Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
bewegte sich die denkwürdige Zweiergruppe auf die letzte Station zu, den »Teich der Unendlichkeit«. Winifred war ein wenig enttäuscht, dass der Agent kein Bedürfnis verspürte, in Gedanken einen Wunsch zu formulieren, und sich folgerichtig auch nicht bemüßigt sah, eine Münze in den Teich zu werfen. Immerhin waren die Münzen ein nicht zu verachtendes Zubrot.
Sie kehrten zur »Kristallkathedrale« und damit zum Ausgangspunkt der Führung zurück, wo Winifred sich, getreudem Vorbild ihres Vaters, noch einmal an ihre imaginäre Besuchergruppe wandte. »Wie ich bereits sagte, sind alle Teilnehmer an der Führung berechtigt, in der Andenkenbude mit zehn Prozent Rabatt einzukaufen.« Und als sie dem Agent zum Abschied die Hand drückte, stellte sie angenehm überrascht fest, dass in ihrem Handteller ein großzügig bemessenes Trinkgeld lag.
»Ich würde mir gern noch die Handarbeiten ansehen«, sagte Pendergast. »An solchen Sachen bin ich sehr interssiert. Damit könnte ich meiner lieben Großtante Cornelia sicher eine große Freude machen. Sie ist sehr krank, wissen Sie, praktisch an den Rollstuhl gefesselt. Da ist es nicht so einfach, ein passendes Geschenk für die alte Dame zu finden.«
Winifred Kraus lächelte gerührt. Wo gab es das heute noch, dass die junge Generation so liebevoll an ältere Familienmitglieder dachte? Sie hatte es von Anfang an geahnt, Pendergast war eben ein durch und durch feiner Mensch. Und seine Großtante Cornelia würde sich bestimmt sehr über den in Kreuzstichen bestickten Kissenbezug freuen.
10
Corrie Swanson saß auf der schmalen Klapppritsche in Medicine Creeks einziger Arrestzelle und starrte dumpf auf die graffitiübersäte, ohnehin durch blätternde Farbe unansehnlich gewordene Wand. Die immer wieder gleichen primitiven Sprüche, nur die Handschrift variierte. Aus dem angrenzenden Büroraum hörte sie den Fernseher plärren: eine der schwachsinnigen Soaps für frustrierte Hausfrauen, samt zu Herzen gehender Orgelmusik und theatralischem Schluchzen der weiblichen Hauptdarstellerin. Weiter vorn hörte sie den Sheriff in seinen Clownschuhen rastlos auf und ab gehen. Wie konnte ein so kleinwüchsiger Mann so große Füßehaben? Und der Kerl qualmte wie ein Schlot, der ganze Bau stank danach.
Sie hoffte, dass ihre Mutter in etwa vier Stunden wieder nüchtern und damit in der Lage war, sie hier rauszuholen. Was natürlich nicht ohne ihr übliches Gelaber von »einer heilsamen Lehre« abgehen würde. Scheiß drauf – was war das schon für eine Lehre, wenn sie die Nacht unter einem Dach mit dieser Ratte von Sheriff verbringen musste? Andererseits, es war nicht schlimmer, als zu Hause zu sitzen und sich ständig die Nörgeleien der Alten oder, sobald sie betrunken genug war, ihr röchelndes Schnarchen anzuhören. Und viel unbequemer als die durchgelegene Matratze zu Hause war die Klapppritsche in der Arrestzelle auch nicht.
Irgendwo ging eine Tür, wahrscheinlich im Eingangsbereich, dann folgten Gemurmel und schlurfende Schritte. Corrie identifizierte die Stimmen ihres Klassenkameraden Brad Hazen, des Sohns des Sheriffs, und seiner Kumpel Chad und Biff: das berüchtigte Trio der Hardy Boys. Sie hörte Brad sagen, dass er und seine Kumpane sich irgendein Fernsehprogramm reinziehen wollten. Grund genug für Corrie, sich schleunigst, das Gesicht zur Wand gedreht, auf der Pritsche auszustrecken.
Sie hörte die drei in das angrenzende Büro stiefeln, wo sie zuallererst die Soap abwürgten und dann sofort durch sämtliche Kanäle zappten. Offenbar fanden sie nicht, was sie suchten, die Glotze verstummte. Einer kam in die Nähe ihrer Tür gelatscht.
Die schlurfenden Schritte machten Halt, Corrie hörte, wie Brad den beiden anderen zuraunte: »He Leute, guckt mal, wer da drin ist!«
Sie flüsterten miteinander, kicherten leise, und zur Krönung hielt es einer von ihnen für den genialsten Witz aller Zeiten, mit aufgeblähten Backen einen Furz nachzuahmen, was die beiden anderen prompt mit lautem Gelächter honorierten.
»He, wie stinkt’s denn hier?«, fragte Brad. »Ist etwa einer von euch in was reingetreten?« Wieherndes Gelächter.
Brad näherte sich den Gitterstäben. »Na, Schnuckelchen, was hast du jetzt wieder angestellt?«
Corrie dachte nicht daran, sich umzudrehen. »Der Zwerg, den du für deinen Erzeuger hältst, Sheriff Rattenfratze, hat an der Tankstelle eine halbe Stunde den Motor laufen und bei offenem Fenster den Schlüssel stecken lassen, während er drin was
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