Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
Freundschaft mit Margo, die zunächst so problematisch begonnen hatte, war eben erst erblüht. Ihr Tod war eine Tragödie im wahrsten Sinne des Wortes – sie war so mutig, so voller Überzeugung und Engagement gewesen.
Im Anschluss an den Gottesdienst ging die Trauergemeinde in kleinen Gruppen den schmalen Friedhofsweg zurück, an dessen Ende die Wagen parkten. Frostige Atemwölkchen stiegen in die Luft. Nora schaute auf ihre Armbanduhr: zehn Uhr. Sie musste sofort zurück ins Museum, um die letzten Vorbereitungen für die Ausstellungseröffnung zu treffen.
Als sie sich zum Gehen wandte, sah sie einen ganz in Schwarz gekleideten Mann, der sich ihr von der Seite näherte; nach einigen Augenblicken ging er neben ihr. Er wirkte so gramgebeugt, dass sich Nora fragte, ob Margo vielleicht doch noch andere Angehörige hatte.
»Nora?«, fragte der Mann leise.
Sie schrak zusammen und blieb stehen.
»Bitte, gehen Sie weiter.«
Was sie tat. Furcht stieg in ihr auf. »Wer sind Sie?«
»Agent Pendergast. Warum sind Sie hier, wo jeder Sie sehen kann – trotz meiner Warnung?«
»Ich muss mein Leben leben.«
»Sie können es nicht leben, wenn Sie es verloren haben.«
Nora seufzte. »Ich möchte wissen, was mit Bill passiert ist.«
»Bill ist in Sicherheit, wie ich es Ihnen erklärt habe. Um Sie mache ich mir Sorgen. Sie sind eine Zielperson.«
»Von wem?«
»Das kann ich Ihnen nicht verraten. Sie müssen aber dringend Maßnahmen zum Selbstschutz ergreifen. Sie sollten Angst haben.«
»Agent Pendergast, ich habe Angst. Ihr Anruf hat mir sogar eine Heidenangst eingejagt. Aber Sie können doch nicht erwarten, dass ich alles stehen und liegen lasse. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe: Ich muss eine Ausstellungseröffnung vorbereiten.«
Pendergast atmete scharf aus; er schien verärgert. »Er bringt alle in meiner Umgebung um. Er wird auch Sie töten. Und dann verpassen Sie nicht nur Ihre Ausstellungseröffnung, sondern auch den Rest Ihres Lebens.« Die Stimme, die in Noras Erinnerung eine so honigsüße Melodie gehabt hatte, klang jetzt angespannt und eindringlich.
»Ich muss das Risiko eingehen. Ich bin für den Rest des Tages im Museum, wo mich die ausgetüftelten Sicherheitssysteme der Ausstellung schützen. Außerdem werde ich heute Abend bei der Eröffnung dabei sein, umgeben von Tausenden.«
»Ausgetüftelte Sicherheitsmaßnahmen haben ihm bislang nie Einhalt geboten.«
»Von wem sprechen Sie?«
»Wie gesagt, wenn ich Ihnen noch mehr verraten würde, würde Sie das nur einem noch größeren Risiko aussetzen. Oh, Nora, was muss ich tun, um Sie zu beschützen?«
Sie zögerte. Es versetzte ihr einen Schock, dass seine Stimme fast verzweifelt klang. »Es tut mir Leid. Aber schauen Sie, es ist wider meine Natur, davonzulaufen und mich zu verstecken. Ich habe zu lange auf die Ausstellungseröffnung hingearbeitet. Die Leute zählen auf mich. Okay? Morgen können wir wieder darüber sprechen, einverstanden? Nur nicht heute.«
»So soll es sein.« Die Gestalt wandte sich ab. Seltsam, wie wenig sie jenem Pendergast ähnelte, an den sie sich erinnerte. Sie mischte sich unter die Grüppchen der dunkel gekleideten Trauergäste, die zu ihren Autos gingen, und war auf einmal nicht mehr zu sehen.
45
D’Agosta blieb vor der Tür zu Haywards Büro stehen. Er hatte fast schon Angst, anzuklopfen. Die schmerzliche Erinnerung an ihre erste Begegnung in ihrem Büro kam ihm ungebeten in den Sinn, doch er unterdrückte diese Gedanken, wenngleich mit größter Mühe, und klopfte lauter als beabsichtigt an.
»Herein.« Schon allein beim Klang ihrer Stimme setzte D’Agostas Herz einen Schlag aus. Er packte die Klinke und schob die Tür auf.
Das Büro sah ganz anders als sonst aus. Fort waren die diversen Stapel mit Schriftstücken, die angenehme, beherrschte Unordnung. Jetzt wirkte der Raum streng – und ihm wurde klar, dass sich Hayward von früh bis spät ausschließlich mit diesem einen Fall befasste.
Und da war sie. Sie stand hinter ihrem Schreibtisch. Eher klein, schlank, in ihrer grauen Uniform mit den Abzeichen eines Captains auf den Schultern, und sah ihm direkt ins Gesicht. Der Blick war so intensiv, dass D’Agosta fast das Gefühl hatte, davon zurückgedrängt zu werden.
»Setz dich.« Ihr Ton war von kühler Neutralität.
»Hör mir zu, Laura, bevor wir anfangen. Ich möchte dir nur …«
»Lieutenant«, entgegnete sie kurz und knapp. »Ich habe Sie einbestellt, um mit Ihnen polizeiliche Angelegenheiten zu
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