Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
Mörder hervorgebracht zu haben. Nach Antoine, lassen Sie mich mal überlegen… Da war zum Beispiel Comstock Pendergast, der berühmte Hypnotiseur, Zauberer und Mentor von Harry Houdini. Er hat seinen Geschäftspartner und dessen Familie umgebracht und hinterher Selbstmord begangen. Hat sich die Kehle zweimal durchgeschnitten. Dann…«
»Wie bitte?« Viola hatte, wie ihr plötzlich bewusst wurde, den Türgriff des Wagens gepackt.
»O ja. Zweimal. Beim ersten Mal hat er das Messer nicht tief genug angesetzt, verstehen Sie? Der Gedanke, langsam zu verbluten, hat ihm offenbar gar nicht behagt. Ich persönlich hätte nichts dagegen, eines langsamen Todes durch Verbluten zu sterben – wie ich höre, ist das fast so wie Einschlafen. Dann hätte ich sehr viel Zeit, das Blut zu bewundern, das ja eine so außerordentliche Farbe hat. Gefällt Ihnen die Farbe von Blut, Viola?«
»Was haben Sie gesagt?« Plötzlich fühlte Viola, wie Panik in ihr hochkroch.
»Blut. Die Farbe eines schönen Rubins. Oder umgekehrt. Ich persönlich finde, Blut hat die bezwingendste Farbe überhaupt. Manche mögen mich exzentrisch nennen, aber so bin ich nun einmal.«
Viola versuchte, ihre Angst und ihre Unsicherheit zu unterdrücken. Diogenes und sie waren inzwischen weit von der Stadt New York entfernt, die finstere Nacht raste an ihnen vorbei, und in den nachtdunklen Vierteln, an denen sie vorbeifuhren und die vom Highway aus kaum zu erkennen waren, brannten nur wenige Lichter.
»Wohin fahren wir?«
»Zu einem kleinen Ort namens The Springs. Es handelt sich um ein reizendes Cottage, direkt am Strand gelegen. In zwei Stunden sind wir dort.«
»Und Aloysius ist da?«
»Natürlich. Er kann es kaum erwarten, Sie wiederzusehen.«
Die ganze Reise war ein kolossaler Fehler, da war sich Viola jetzt sicher. Wieder einmal war sie einem törichten Impuls gefolgt. Sie hatte sich in das Aufregende, das Romantische der Reise verstrickt, denn sie war ja so erleichtert gewesen, dass Pendergast noch am Leben war. Aber in Wahrheit kannte sie den Mann ja kaum. Und sein Bruder… Plötzlich war ihr der Gedanke, zwei weitere Stunden im Auto mit ihm zu verbringen, unerträglich.
»Viola«, hörte sie Diogenes’ leise Stimme. »Entschuldigen Sie. Geht es Ihnen gut?«
»Ja, danke.«
»Sie wirken besorgt.«
Sie atmete tief durch. »Um ganz ehrlich zu sein, Diogenes, ich möchte heute lieber in New York übernachten. Ich bin doch erschöpfter, als ich gedacht habe. Ich treffe Aloysius dann, wenn er in die Stadt kommt.«
»O nein! Er wird am Boden zerstört sein.«
»Da kann man nichts machen. Würden Sie jetzt bitte umkehren? Wirklich, es tut mir schrecklich Leid, dass ich es mir plötzlich anders überlegt habe, aber so ist es das Beste. Sie waren sehr freundlich. Bitte fahren Sie mich nach New York zurück.«
»Wenn Sie möchten. Bei der nächsten Ausfahrt kann ich wenden.«
Ihr fiel ein Stein vom Herzen. »Danke. Es tut mir wirklich furchtbar Leid, dass ich Ihnen diese ganzen Unannehmlichkeiten bereite.«
Sie gelangten zur nächsten Ausfahrt: Hemstead. Diogenes drosselte das Tempo und fuhr von der Autobahn ab. Er näherte sich dem Stoppschild am Ende der Ausfahrt und kam langsam zum Stehen. Weit und breit war kein anderes Auto in Sicht. Viola setzte sich zurück, während sie immer noch unbewusst den Türgriff umklammerte und darauf wartete, dass Diogenes endlich weiterfuhr.
Aber das tat er nicht. Und dann roch es plötzlich ganz seltsam, irgendwie nach Chemie. Viola wandte sich um. »Was ist …?«
Da verschloss eine Hand mit einem zerknüllten Lappen ihren Mund, gleichzeitig schlang sich blitzartig ein Arm um ihren Nacken, so dass sie brutal in den Sitz gedrückt wurde. Sie wurde niedergehalten, der stinkende Lappen presste sich ihr gnadenlos auf Mund und Nase. Sie wehrte sich und versuchte, Luft zu holen, aber es schien, als hätte sich eine dunkle Tür vor ihr aufgetan. Gegen ihren Willen beugte sich Viola vor, und dann stürzte sie tiefer und tiefer hinab ins Dunkel, bis alles Licht um sie herum verlosch.
44
Die winterliche Landschaft hätte nicht öder sein können: In der Nacht zuvor hatte es geschneit, der Friedhof lag unter einer dünnen Schneeschicht, und jetzt blies ein bitterkalter Wind durch die kahlen Bäume, ließ die Zweige knarren und fegte kleine Schneefahnen über den gefrorenen Boden. Das Grab selbst wirkte wie eine schwarze Wunde in der Erde, umgeben von hellgrünem Astroturf, den man auf den Schnee gelegt hatte; ein
Weitere Kostenlose Bücher