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Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd

Titel: Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
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Leiber auf spitzen Stangen, ein härenes Gewand, gewebt aus Nervenganglien, ein Steinkrug voll mit frischem Blut – die zusammenhangslosen Bilder der Vergangenheit erschienen auf dem Bildschirm seines Bewusstseins wie eine Laterna-magica-Vorstellung. Nie widerstand Diogenes ihnen. Widerstand wäre vergeblich, und der Vergeblichkeit wiederum musste er natürlich widerstehen. Er ließ die Szenen in sein Bewusstsein schweben und wieder hinaus, so wie sie eben auf ihn eindrangen.
    Das alles würde sich ändern. Das große Rad würde sich einmal ganz herumdrehen, denn jetzt war er endlich so weit, seinen Schmetterling aufs Rad zu flechten. Das Etwas, das an seinem Geist zehrte, würde zu guter Letzt ausgetrieben werden. Die Rache an seinem Bruder stand kurz vor ihrer Vollendung.
    Während er so dahinfuhr, ließ Diogenes seine Gedanken fast dreißig Jahre zurückschweifen. Am Anfang – nachdem es passiert war – hatte er sich im inneren Labyrinth seines Bewusstseins verloren; er hatte sich so weit von der Wirklichkeit und der geistigen Gesundheit entfernt, wie man nur gehen konnte, während ein kleiner Teil in ihm noch normal, alltäglich geblieben war, fähig, mit der Außenwelt zu kommunizieren, deren wahre Natur sich ihm, dank jenes besonderen Ereignisses, offenbart hatte.
    Doch dann – langsam, sehr langsam – hatte der Wahnsinn allein seine beschützende Kraft verloren. Er war kein Trost mehr, nicht einmal ein bitterer. So kehrte Diogenes also zurück. Doch es erging ihm wie einem Taucher, dem in der Tiefe die Luft ausgegangen war und der panisch an die Oberfläche emporstieg, nur um sogleich der Taucherkrankheit anheim zu fallen.
    Das war der schlimmste Augenblick von allen gewesen.
    Und doch geschah es in genau diesem Moment, als er auf des Messers Schneide der grausamen Wirklichkeit balancierte, dass Diogenes begriff, dass es tatsächlich eine Bestimmung gab, die in der realen Welt auf ihn wartete. Seine Rückkehr erfüllte einen doppelten Sinn: eine Abrechnung und eine Rückforderung. Es würde Jahrzehnte der Planung bedürfen. Es würde, in seiner selbstbezüglichen Welt, ein Kunstwerk sein, das Meisterwerk eines ganzen Lebens. Und dann will ich Dir gefällig sein …
    Und so kehrte Diogenes in die Welt zurück.
    Nun wusste er, was für ein Ort die Welt in Wahrheit war und was für Lebewesen sie bewohnten. Es war keine schöne Welt, nein, überhaupt keine schöne Welt. Sondern eine Welt des Schmerzes, des Bösen und der Grausamkeit, bevölkert von gemeinen Kreaturen, die aus Pisse, Exkrementen und Galle bestanden. Doch seine neu gefundene Aufgabe, das Ziel, auf das er seinen ganzen Intellekt ausgerichtet hatte, machte eine solche Welt nur gerade eben erträglich. So wurde Diogenes zu einem Chamäleon par excellence, das alles, alles hinter seiner rasch wandelnden Haut der Verstellung, der Ausflüchte, der Irreleitung, der Ironie und der kühlen Distanz verbarg.
    Manchmal, wenn sein Wille zu zerfasern drohte, stellte er fest, dass ein bestimmter Zeitvertreib ausreichte, um ihn abzulenken, damit es ihn aus diesen Tiefen heraufzog. Manche mochten dieses Gefühl, das ihn aufrechterhielt, Hass nennen, aber für ihn war dieser Hass der Nektar, der ihn nährte und ihm die übermenschliche Geduld und die Aufmerksamkeit für Details verlieh, wie sie jeden echten Fanatiker auszeichneten. Diogenes stellte fest, dass er nicht nur ein Doppel- oder Dreifachleben führen konnte, sondern vielmehr eben jene Persönlichkeiten eines halben Dutzends erfundener Menschen annehmen konnte, wie sein Kunstwerk es gerade verlangte. In manche dieser Persönlichkeiten war er bereits vor Jahren, ja Jahrzehnten geschlüpft, damals, als er das vielschichtige Fundament seines Masterplans gelegt hatte.
    Vor ihm tauchte eine Kreuzung auf. Er drosselte das Tempo und bog nach rechts ab.
    Die Nacht war im Begriff, die Welt aus ihrer Gewalt zu entlassen, aber im Bezirk Suffolk schlief noch alles. Es spendete Diogenes Trost, zu wissen, dass sein Bruder Aloysius nicht zu denen gehörte, die in wolllüstiger oder erotischer Betäubung versunken waren. Aber auch Aloysius würde nie wieder gut schlafen: niemals. Denn in diesem Augenblick würde er sich der Dimensionen dessen, was er, Diogenes, ihm angetan hatte, völlig bewusst werden.
    Sein Plan hatte die Kraft und die funktionale Vollkommenheit einer gutgeölten Bärenfalle. Und nun steckte Aloysius in ihren Krallen fest und harrte der Ankunft des Jägers und des Gnadenschusses. Aber Diogenes würde

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