Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
durchatmen und eine ungebärdige Haartolle zurückstreichen konnte, die sich offenbar immer zum ungeeignetsten Zeitpunkt aufstellte. Dann holte er tief Luft und klopfte höflich an.
»Ist offen«, hörte er Davies’ Stimme.
Smithback trat in die Tür. Gott sei Dank: Von Harriman war weit und breit nichts zu sehen.
Davies sah von seinem Schreibtisch hoch. »Bill! Wie man mir sagte, waren Sie im St. Luke’s und standen praktisch mit einem Bein im Grab.«
»Ich hab mich schnell erholt.«
Davies musterte ihn arglistig. »Freut mich zu sehen, dass Sie so quietschfidel sind.« Er hielt inne. »Ich nehme an, Sie haben die Krankmeldung dabei?«
»Natürlich, natürlich«, stammelte Smithback. Wahrscheinlich konnte Pendergast das hinbiegen, offenbar konnte er ja alles andere auch hinbiegen.
»Sie haben einen günstigen Zeitpunkt gewählt, um zu verschwinden.« Davies’ Stimme triefte nur so vor Ironie.
»Ich habe mir den Zeitpunkt nicht ausgesucht. Er hat mich ausgesucht«
»Setzen Sie sich.«
»Na ja, ich wollte nur eben…«
»Oh, ich bitte um Verzeihung – mir war gar nicht bewusst, dass Sie eine dringende Verabredung haben.«
Als er den eisigen Ton in Davies’ Stimme hörte, entschloss sich Smithback, doch Platz zu nehmen. Er wollte unbedingt Nora wiedersehen, aber es hatte keinen Sinn, Davies noch mehr zu vergrätzen, als er das bereits getan hatte.
»Bryce Harriman konnte während Ihrer jüngsten Indisposition einspringen, sowohl im Duchamp-Mord als auch beim anderen im Museum, denn inzwischen behauptet die Polizei, dass die beiden zusammenhängen…«
Smithback rückte auf die Stuhlkante vor. »Wie bitte? Haben Sie gesagt, dass es einen weiteren Mord gab? In welchem Museum?«
»Sie sind ja wohl wirklich raus aus allem. Im Naturhistorischen Museum. Vor drei Tagen wurde eine Angestellte ermordet…«
»Wer?«
»Niemand, den ich kenne. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind längst nicht mehr mit der Story betraut – Harriman hat die übernommen.« Davies schnappte sich einen braunen Umschlag. »Hier, das habe ich stattdessen für Sie. Ist ‘ne große Geschichte, und ich will ganz offen zu Ihnen sein, Bill: Mir ist ein bisschen bange, die jemandem mit angegriffener Gesundheit anzuvertrauen. Ich hatte daran gedacht, die Story ebenfalls Harriman zu geben, aber der hat so viel um die Ohren, außerdem war er schon draußen im Einsatz, als die Meldung vor zwanzig Minuten reingekommen ist. Gestern Nacht hat es im Museum einen großen Raub gegeben. Scheint ja dieser Tage ein lebhafter Ort zu sein. Aber Sie haben ja Kontakte zum Museum, Sie haben doch damals dieses Buch über den Schuppen geschrieben – also ist das Ihre Story, trotz meiner Sorge.«
»Aber wer …?«
Davies schob Smithback das Kuvert über den Schreibtisch zu. »Jemand hat gestern Nacht die Halle der Diamanten ausgeräumt, während eine große Party im Gang war. Um zehn geben die da eine Pressekonferenz. Sie sind schon akkreditiert.« Er sah auf die Uhr. »Das ist in einer halben Stunde, Sie sollten sich beeilen.«
»Was den Mord betrifft«, setzte Smithback noch mal an. »Wer ist denn das Opfer?«
»Wie gesagt, niemand Wichtiges. Eine neue Angestellte, eine gewisse Green. Margo Green.«
»Wer?« Smithback hielt sich an seinen Stuhllehnen fest, ihm wurde schwindlig. Das konnte nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht wahr sein.
Davies betrachtete ihn bestürzt. »Geht’s Ihnen gut?«
Smithback erhob sich mit größter Anstrengung. »Margo Green… ermordet?«
»Kennen Sie die Frau?«
»Ja.« Er brachte kaum das Wort über die Lippen.
»Na ja, dann ist es umso besser, dass Sie die Story nicht machen«, sagte Davies rasch. »Wie mein früherer Chefredakteur immer zu sagen pflegte: Über ein Thema zu schreiben, das einem zu nahe ist, ist so, als wollte man sein eigener Anwalt sein: Man hat einen Trottel als Anwalt und einen als – he! Wo wollen Sie denn hin?«
57
Als Nora um die Ecke der Columbus Avenue auf die West 77th Street bog, sah sie sofort, dass beim Museum irgendetwas Außergewöhnliches passiert sein musste. Der Museum Drive stand voll mit Streifenwagen, Zivilfahrzeugen der Polizei und Tatort-Vans, die ihrerseits von Übertragungswagen des Fernsehens und einer Schar aufgeregter Reporter umringt waren.
Sie sah auf ihre Uhr: Viertel vor zehn – normalerweise eine Zeit, zu der das Museum gerade erwachte. Ihr Puls beschleunigte sich: ein weiterer Mord?
Sie lief mit raschen Schritten die Auffahrt zum Personaleingang
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