Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
sich zu dem größten Mandala, das über dem Gaskamin hing. Es war unglaublich: eine hochkomplexe, metaphysische Darstellung des Kosmos, die gleichzeitig eine magische Darstellung des inneren Zustandes des erleuchteten Buddhas war, wie auch das Schema eines Tempels oder Palastes. Mandalas sollten als Gegenstände der Kontemplation dienen, als Hilfsmittel zur Meditation, ihre Proportionen magisch ausbalanciert, um den Geist zu reinigen und zu beruhigen. Auf ein Mandala zu schauen, bedeutete, wenn auch nur kurz, das Nichts zu erleben, das im Herzen der Erleuchtung ruht.
Bei dem vorliegenden handelte es sich um ein außergewöhnlich schönes Mandala. Pendergast betrachtete es, wobei sein Blick fast magnetisch zur Mitte gezogen wurde, spürte den vertrauten Frieden und die Freiheit von jeglicher Bindung, die dem Bild entströmten.
War dies das Agozyen? Nein – da war keine Drohung, keine Gefahr.
Er sah auf die Uhr. In zwölf Minuten war Blackburn zurück. Ihm blieb also keine Zeit, die einzelnen Gegenstände zu untersuchen. Stattdessen kehrte er in die Mitte des Zimmers zurück, stand da und dachte nach.
Das Agozyen befand sich im Raum: Er war sich da ganz sicher. Aber er war auch überzeugt, dass eine weitere Suche nur kostbare Zeit vergeuden würde. Ein buddhistischer Satz kam ihm in den Sinn.
Wenn du aufhörst zu suchen, dann wirst du finden
.
Er setzte sich auf Blackburns Polstersofa, schloss die Augen und leerte – langsam, ruhig – seinen Geist. Als er ganz zur Ruhe gekommen war und sich nicht mehr darum sorgte, ob er das Agozyen fand oder nicht, öffnete er die Augen und sah sich nochmals im Raum um, wobei er seinen Geist leer, seinen Verstand in der Schwebe hielt.
Sein Blick wanderte zu einem erlesenen Gemälde von Georges Braque, das unauffällig in einer Ecke hing. Pendergast erinnerte sich undeutlich an das Bild, ein frühes Meisterwerk des französischen Kubismus, das vor kurzem bei
Christie’s
in London versteigert worden war – erworben, wie er sich entsann, von einem unbekannten Käufer.
Von seiner Position auf dem Sofa aus untersuchte er das Gemälde entspannt und vergnügt.
Noch sieben Minuten.
[home]
45
LeSeur trat dem Stellvertretenden Kapitän Mason in den Weg, als diese durch die Sicherheitsschleuse den äußeren Bereich der Kommandobrücke betrat. Als sie seine Miene sah, blieb sie stehen.
»Captain Mason …«, begann er.
Sie sah ihn ausdruckslos an. Noch immer wirkte sie gelassen, das Haar hatte sie unter die Kapitänsmütze gesteckt, ohne dass eine einzige Strähne verrutscht war. Nur die Augen verrieten ihre große Müdigkeit.
Sie blickte durch die innere Lukentür zur Brücke, nahm den aktuellen Betrieb mit schnellem, professionellem Blick in Augenschein, dann wandte sie sich ihm wieder zu. »Möchten Sie mir etwas mitteilen, Mr LeSeur?« Ihre Stimme klang bemüht neutral.
»Haben Sie von dem jüngsten Mord gehört?«
»Ja.«
»Commodore Cutter weigert sich, den Kurs nach St. John’s zu ändern. Wir halten weiter Kurs auf New York. Ungefähr fünfundsechzig Stunden noch.«
Mason schwieg. LeSeur wandte sich zum Gehen und spürte ihre Hand auf seiner Schulter. Er war gelinde überrascht; sie hatte ihn noch nie berührt.
»Officer LeSeur«, sagte sie. »Ich möchte, dass Sie mich begleiten, wenn ich mit dem Commodore spreche.«
»Ich bin von der Brücke verbannt worden, Sir.«
»Betrachten Sie sich als wiedereingesetzt. Und bitte rufen Sie die Zweiten und Dritten Offiziere auf die Brücke, außerdem Mr Halsey, den Leitenden Ingenieur. Ich benötige sie als Zeugen.«
LeSeurs Herz schlug schneller. »Ja, Sir.«
Es dauerte fünf Minuten, die Offiziere und Halsey zusammenzutrommeln und zur Brücke zurückzukehren. Mason nahm sie an der Sicherheitstür in Empfang. Über ihre Schulter hinweg sah LeSeur, dass der Commodore noch immer vor den Fenstern der Brücke auf und ab schritt. Er ging jetzt noch langsamer, setzte mit äußerster Präzision einen Fuß vor den anderen, hielt den Kopf gesenkt und ignorierte jeden und alles. Als er hörte, dass sie eintraten, blieb er endlich stehen. LeSeur wusste, dass Cutter registrierte, dass das Brückenpersonal in einer Reihe hinter ihm versammelt war.
Cutters wässriger Blick wanderte von Mason zu LeSeur und wieder zurück. »Was macht der Erste Offizier hier, Captain? Ich habe ihn fortgeschickt.«
»Ich habe ihn gebeten, auf die Brücke zurückzukehren, Sir.«
Langes Schweigen.
»Und diese anderen Offiziere?«
»Ich habe
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