Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
sie ebenfalls gebeten herzukommen.«
Cutter starrte sie weiter an. »Das ist Befehlsverweigerung, Captain.«
Nach einer Pause entgegnete Mason: »Commodore Cutter, ich bitte Sie respektvoll, Ihre Entscheidung zu rechtfertigen, Kurs zu halten und New York anzulaufen, anstatt das Schiff nach St. John’s umzudirigieren.«
Cutters Blick wurde fester. »Das haben wir schon alles besprochen. Eine solche Kursänderung ist unnötig und unüberlegt.«
»Verzeihen Sie, Sir, aber die Mehrzahl Ihrer Offiziere – und, wie ich anfügen könnte, eine Delegation prominenter Passagiere – ist da anderer Ansicht.«
»Ich wiederhole: Das ist Befehlsverweigerung. Sie sind hiermit Ihres Kommandos enthoben.« Cutter wandte sich den beiden Sicherheitsbeamten zu, die an der Tür zur Brücke Wache hielten. »Begleiten Sie Captain Mason hinaus.«
Die beiden Sicherheitsbeamten traten auf Mason zu. »Kommen Sie bitte mit, Sir«, sagte einer von ihnen.
Mason ignorierte sie. »Commodore Cutter, Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe; was
wir
gesehen haben. Wir haben viertausenddreihundert verängstigte Passagiere und Besatzungsmitglieder an Bord dieses Schiffes. Das Sicherheitspersonal ist völlig unzureichend, um mit einer Situation von dieser Größenordnung fertig zu werden; Mr Kemper räumt dies übrigens freimütig ein. Und die Lage eskaliert weiter. Die Kontrolle und damit die Sicherheit dieses Schiffes sind unmittelbar bedroht. Ich bestehe darauf, dass wir Kurs auf den nächstgelegenen Hafen nehmen – St. John’s. Jeder andere Kurs würde das Schiff in Gefahr bringen und ein Pflichtversäumnis gemäß Artikel V des Internationalen Seefahrtsrechts konstituieren.«
LeSeur stockte der Atem. Er rechnete mit einem Wutausbruch oder einer kalten Captain-Bligh-artigen Zurückweisung. Stattdessen tat Cutter etwas Unerwartetes. Die Spannung wich aus seinem Körper, er drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken an ein Steuerpult und faltete die Hände. Sein ganzes Gebaren änderte sich schlagartig.
»Captain Mason, wir sind alle mehr als nur ein wenig beunruhigt.« Er blickte zu LeSeur. »Vielleicht war meine Reaktion auf Sie, Mr LeSeur, ebenfalls etwas hastig. Es gibt einen Grund, warum ein Schiff einen Kapitän hat und warum seine Befehle niemals in Frage gestellt werden dürfen. Wir haben weder die Zeit noch den Luxus, zu debattieren, unsere Gründe darzulegen, wie ein Ausschuss abzustimmen. Dennoch will ich unter diesen Umständen meine Gründe erläutern. Ich werde sie ein Mal und nur ein Mal erläutern. Ich
erwarte«
, er blickte zu den Deckoffizieren und zu dem Leitenden Ingenieur, dann wurde sein Ton sanfter, »dass Sie mir zuhören. Sie alle müssen die alte und altehrwürdige Heiligkeit des Vorrechts des Kapitäns akzeptieren, Entscheidungen an Bord seines Schiffes zu treffen, selbst Entscheidungen, in denen es um Leben und Tod geht, wie zum Beispiel diese. Wenn ich im Unrecht bin, wird das angegangen, sobald wir im Hafen einlaufen.«
Er richtete sich auf. »Wir befinden uns zweiundzwanzig Stunden von St. John’s entfernt, aber nur dann, wenn wir die Geschwindigkeit halten. Wenn wir den Kurs ändern, steuern wir mitten ins Zentrum des Sturms. Statt einer nachlaufenden See wären wir einer seitlichen See ausgesetzt, und anschließend, wenn wir die
Grand Banks
überqueren, einer Kopfsee. Wir könnten von Glück reden, wenn wir eine Geschwindigkeit von zwanzig Knoten aufrechterhielten. Nach dieser Berechnung ist St. John’s zweiunddreißig Stunden entfernt, nicht zweiundzwanzig – und das gilt auch nur, wenn der Sturm nicht zunimmt. Ich kann mir mühelos vorstellen, dass wir St. John’s erst in vierzig Stunden erreichen.«
»Das ist immer noch einen Tag vor …«
Der Kapitän hob die Hand, seine Gesichtszüge verdunkelten sich. »Entschuldigen Sie. Ein gerader Kurs nach St. John’s wird uns jedoch bedrohlich nahe an die
Eastern Shoals
und die
Carrion Rocks
heranführen. Wir werden also einen Kurs um die Hindernisse setzen müssen, wodurch wir mindestens ein, zwei Stunden verlieren. Das macht zweiundvierzig Stunden. Die Grand Banks wimmeln vor Fischereischiffen, und einige der größeren Fabrikschiffe werden den Sturm in Küstennähe abwettern, mit geworfenen Seeankern, unbeweglich, wodurch
wir
das Schiff sein werden, das ausweichen muss. Man ziehe zwei Knoten Geschwindigkeit ab und füge Raum zum Manövrieren hinzu, und wir verlieren noch ein paar Stunden. Auch wenn es Juli ist, ist die Eisbergsaison noch
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