Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
und gab den Neuankömmlingen durch ein Zeichen zu verstehen, dass sie ihm einen steinernen Fußweg zum Hauptgebäude folgen sollten.
Schweigend gingen Pendergast und sein Mündel dem Mönch hinterher. Sie passierten ein zweites Tor und betraten die dunklen Räume des eigentlichen Klosters, dessen Luft vom Geruch nach Sandelholz und Wachs erfüllt war. Als das große, eisenbeschlagene Tor hinter ihnen zuschlug, verstummte der heulende Wind zu einem fernen Flüstern. Sie schritten über einen langen Gang, dessen eine Seite kupferne Gebetsmühlen säumten, die, angetrieben von irgendeinem verborgenen Mechanismus, sich knarrend drehten. Nachdem der Gang sich gegabelt und eine weitere Biegung gemacht hatte, gelangten sie tiefer ins Innere des Klosters. Noch ein Mönch erschien, er trug große Kerzen in Messinghaltern, deren flackerndes Licht zu beiden Seiten des Gangs sehr alte Wandmalereien enthüllte.
Am Ende der labyrinthischen Gänge gelangten sie schließlich in einen großen Raum, dessen rückwärtiger Teil von einer goldenen Statue des Padmasambhava, des tantrischen Buddhas, dominiert wurde. Hunderte von Kerzen tauchten sie in weiches Licht. Anders als die kontemplativen, halb geschlossenen Augen auf den meisten Darstellungen Buddhas, waren die Augen des tantrischen Buddhas weit geöffnet, wach und voller Leben, denn sie symbolisierten das gesteigerte Bewusstsein, das man durch das Studium der Geheimlehren des Dzogchen und des noch esoterischeren Chongg Ran erlangt.
Das Kloster Gsalrig Chongg war eines der beiden Refugien, in denen noch das Chongg Ran gelehrt wurde, jene geheimnisvolle Lehre, die den wenigen, die noch mit ihr vertraut waren, als »das Juwel der Unbeständigkeit des Geistes« bekannt war.
An der Schwelle zu diesem Allerheiligsten blieben die beiden Reisenden stehen. Am gegenüberliegenden Ende saß eine Reihe von Mönchen schweigend auf gestaffelten Steinbänken, als erwarteten sie jemanden.
Auf dem obersten Rang thronte der Abt des Klosters. Der Mann sah ungewöhnlich aus, sein uraltes, faltiges Gesicht wirkte belustigt, ja geradezu heiter. Das Gewand hing ihm am klapperdürren Leib wie nasse Wäsche an einer Wäschespinne. Neben ihm saß ein etwas jüngerer Mönch, den Pendergast ebenfalls kannte: Tsering. Er zählte zu den ganz wenigen Mönchen, die Englisch sprachen, diente als eine Art Manager des Klosters und hatte sich für seine gut sechzig Jahre außergewöhnlich gut gehalten. Unterhalb dieser beiden saßen eine Reihe von zwanzig Mönchen aller Altersstufen; einige von ihnen waren Jugendliche, andere sehr alt und verhutzelt.
Tsering erhob sich und sagte in einem mit dem melodischen Singsang des Tibetischen durchsetzten Englisch: »Freund Pendergast, wir heißen dich wieder willkommen im Kloster von Gsalrig Chongg, wie auch deinen Gast. Bitte nehmt Platz und trinkt mit uns einen Tee.«
Er deutete auf eine Steinbank mit zwei bestickten Seidenkissen – es waren die einzigen im ganzen Raum. Pendergast und sein Mündel setzten sich. Kurz darauf erschienen mehrere Mönche mit Messingtabletts voller Tassen dampfenden Buttertees und
tsampa
. Schweigend nippten sie an dem süßen Getränk, doch erst als sie ihre Tassen geleert hatten, ergriff Tsering wieder das Wort.
»Was führt Freund Pendergast zurück nach Gsalrig Chongg?«
Pendergast erhob sich.
»Vielen Dank für dein herzliches Willkommen, Tsering«, sagte er leise. »Ich freue mich, wieder hier zu sein. Ich kehre hierher zurück, um meine meditative Reise zur Erleuchtung fortzusetzen. Ich möchte dir Miss Constance Greene vorstellen, die ebenfalls gekommen ist, um hier zu studieren.« Er reichte ihr die Hand und half ihr auf die Beine.
Eine lange Stille entstand. Schließlich erhob sich Tsering. Er ging zu Constance hinüber, stellte sich vor sie und sah ihr ruhig ins Gesicht; schließlich streckte er die Hand aus und berührte ihr Haar, befingerte es sanft. Dann strich er noch sanfter über die Wölbung ihrer Brüste. Constance rührte sich keinen Millimeter von der Stelle.
»Sind Sie eine Frau?«, fragte er.
»Sie haben doch sicherlich schon einmal eine gesehen«, erwiderte Constance trocken.
»Nein«, entgegnete Tsering. »Seit ich im Alter von zwei Jahren hierhergekommen bin, habe ich keine mehr zu Gesicht bekommen.«
Constance errötete. »Verzeihen Sie vielmals. Ja, ich bin eine Frau.«
Tsering wandte sich an Pendergast. »Sie ist die erste Frau, die je nach Gsalrig Chongg gekommen ist. Wir haben noch nie eine
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