Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
haben?«
»Nun, ich –« Der Blick aus Pendergasts silbrigen Augen bohrte sich förmlich in ihn.
»War der Grund vielleicht bloße Neugier? Oder …«, er lächelte, »… die Hoffnung, den Fall in der Fachpresse zu publizieren?«
Felder reagierte streng. »Wenn der Fall etwas Neuartiges enthält, möchte ich meine Erfahrungen natürlich auf dem Wege der Veröffentlichung mit meinen Kollegen teilen.«
»Um auf diese Weise Ihren Ruf aufzubessern … und vielleicht«, Pendergasts Augen schienen bösartig zu glitzern, »eine einträgliche Anstellung in einem Forschungsinstitut zu ergattern. Mir ist aufgefallen, dass Sie sich schon seit geraumer Zeit eine Assistenzprofessur an der Rockefeller-Universität sichern möchten.«
Felder war bass erstaunt. Wie konnte der Mann davon erfahren haben?
Als wollte er die nicht gestellte Frage beantworten, wedelte Pendergast lässig mit der Hand und sagte: »Ich habe mir die Freiheit genommen, Erkundigungen über Sie einzuholen.«
Felder wurde rot, weil man ihm seine eigene Formulierung an den Kopf warf, und versuchte sich zu fassen. »Meine beruflichen Ziele sind hier ohne Belang. Die Wahrheit ist: Ich habe noch nie ein so echt wirkendes Erscheinungsbild einer wahnhaften Psychose erlebt. Constance Greene
wirkt,
als stamme sie aus dem neunzehnten Jahrhundert. Durch die Art, wie sie redet, sich kleidet, geht, sich hält, ja sogar denkt. Und darum habe ich Sie gebeten, heute hierherzukommen. Ich möchte mehr über sie erfahren. Welches Trauma hat sie womöglich erlitten, so dass sie diesen Wahn entwickelt hat? Wie war sie vorher? Was sind die wichtigsten Erlebnisse in ihrem Leben? Wer ist sie tatsächlich?«
Pendergast sah ihn weiterhin an und schwieg.
»Und nicht nur das. Ich habe in den Archiven das hier gefunden.« Er klappte eine braune Mappe auf, die auf seinem Schreibtisch lag, und zog eine Fotokopie von
Gossenkinder beim Spielen
heraus, dem Kupferdruck aus dem
New York Daily Inquirer,
und reichte sie Pendergast.
Der betrachtete die Illustration eingehend, dann reichte er sie zurück. »Die Ähnlichkeit ist ganz erstaunlich. Vielleicht das Produkt künstlerischer Phantasie?«
»Sehen Sie sich doch mal die Gesichter an«, sagte Felder. »Sie sind so echt, dass es sich bestimmt um lebensnahe Porträts handelt.«
Pendergast lächelte geheimnisvoll, aber Felder meinte, einen bislang nicht vorhandenen Respekt in den blassen Augen lesen zu können. »Das ist alles höchst interessant, Dr. Felder.« Er hielt inne. »Und vielleicht kann ich Ihnen helfen – wenn Sie mir helfen.«
Er wusste zwar nicht genau, warum, aber auf einmal packte Felder die Lehnen seines Stuhls. »Und wie?«
»Constance ist ein sehr labiler Mensch, emotional und psychisch. Unter den richtigen Umständen kann sie aufblühen. Unter den falschen …« Pendergast sah ihn an. »Wo ist sie im Moment in Haft?«
»In einer Einzelzelle in der Justizvollzugsstation des Bellevue. Derzeit werden die Papiere vorbereitet für ihre Verlegung in die psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Bedford Hills.«
Pendergast schüttelte den Kopf. »Das ist ein Hochsicherheitsgefängnis. Jemand wie Constance würde an einem solchen Ort dahinwelken, ihr Zustand würde sich immer mehr verschlechtern.«
»Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass sie durch die anderen Insassen zu Schaden kommt, weil das Personal –«
»Darum geht es nicht. Constance hat eine Neigung zu plötzlichen, gelegentlich gewalttätigen psychotischen Ausbrüchen. Ein Ort wie Bedford Hills würde das nur fördern.«
»Was würden Sie also vorschlagen?«
»Sie muss an einen Ort mit einer Atmosphäre, die jener ähnelt, an die sie gewöhnt ist – behaglich, altmodisch, ohne Stresssituationen. Und dennoch sicher. Sie muss sich mit vertrauten Dingen umgeben können, natürlich in einem vernünftigen Rahmen. Vor allem Bücher sind da entscheidend.«
Felder schüttelte den Kopf. »Es gibt nur eine solche Anstalt, das Mount Mercy, und das ist vollständig belegt. Mit einer langen Warteliste.«
Pendergast lächelte. »Ich weiß ganz zufällig, dass vor knapp drei Wochen ein Platz frei geworden ist.«
Felder sah ihn an. »Tatsächlich?«
Pendergast nickte. »In Ihrer Funktion als einweisender Psychiater könnten Sie sich sozusagen doch vordrängeln und sie dort unterbringen.
Falls
Sie darauf bestehen, dass es der einzige geeignete Ort für sie ist.«
»Ich werde … ich werde mich darum kümmern.«
»Sie werden mehr tun, als sich
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