Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Gegenstände heraus: ein Büschel dicker roter Haare und einen Goldring mit einem wunderschönen Stern-Saphir. Mit einer Pinzette hob er das Haarbüschel an und legte es zur Seite; den Ring holte er mit bloßer Hand heraus, mit einer so unbewusst zärtlichen Geste, dass es D’Agosta einen Stich ins Herz versetzte.
»Das sind die Gegenstände, die ich von Helens Leichnam entfernt habe«, sagte Pendergast. Die indirekte Beleuchtung hob die Falten seiner verhärmten Gesichtszüge hervor. »Ich habe sie mir seit zwölf Jahren nicht mehr angesehen. Helens Hochzeitsring … und ein Büschel der Mähne, das sie dem Löwen ausgerissen hat, als er sie verschlang. Ich habe das Haarbüschel in ihrer abgetrennten linken Hand gefunden.«
D’Agosta zuckte zusammen. »Was haben Sie vor?«
»Ich werde einer Intuition folgen.« Pendergast öffnete die Glasstopfen-Flaschen und gab diverse Pulver in die Teströhrchen. Dann zupfte er mittels der Pinzette kleine Stückchen der Mähne aus dem rötlichen Büschel und gab ein paar Strähnen sorgfältig in jedes Teströhrchen. Schließlich zog er aus der Arzttasche ein kleines braunes Fläschchen, das mit einer Pipette verschlossen war. Er schraubte die Pipette ab und gab mehrere Tropfen einer klaren Flüssigkeit in jedes Röhrchen. In den ersten vier ließ sich keine Reaktion beobachten. Doch im fünften wurde die Flüssigkeit auf einmal hellgrün, wie grüner Tee. Einen Augenblick blickte Pendergast konzentriert auf dieses Röhrchen. Dann zog er mittels einer Pipette eine kleine Menge der Flüssigkeit auf und träufelte sie auf einen dünnen Streifen Papier, den er aus der Arzttasche holte.
»Ein pH-Wert von drei Komma sieben«, sagte er mit einem Blick auf den Streifen. »Exakt die Art von milder Säure, die erforderlich ist, um die Lawson-Moleküle aus dem Blatt zu lösen.«
»Aus was für einem Blatt? Was soll das alles?«
Pendergast blickte von dem kleinen Papierstreifen zu D’Agosta und wieder zurück. »Ich könnte weitere Tests durchführen, was mir aber kaum sinnvoll erscheint. Die Mähne des Löwen, der meine Frau getötet hat, ist mit Molekülen behandelt worden, die ursprünglich aus der Pflanze
Lawsonia inermis
stammen. Bekannter unter dem Namen Henna.«
»Henna? Sie meinen, jemand hat die Mähne rot
gefärbt?
«
»Ganz genau.« Wieder blickte Pendergast auf. »Proctor wird Sie nach Hause fahren. Ich kann Ihnen drei Stunden Zeit geben, damit Sie die nötigen Vorkehrungen treffen – keine Minute mehr.«
»Und was passiert dann?«
»Dann, Vincent, geht’s auf nach Afrika.«
8
D’Agosta stand ein wenig unsicher im Flur der sauberen, aufgeräumten Zweizimmerwohnung, die er gemeinsam mit Laura Hayward bewohnte. Streng genommen war es Lauras Wohnung, aber seit einiger Zeit teilten sie sich wenigstens die Miete. Allein sie dazu zu bringen hatte Monate gedauert. Und jetzt hoffte er inständig, dass die plötzliche Wendung der Ereignisse nicht all die harte Arbeit zunichtemachte, die er in die Reparatur ihrer Beziehung gesteckt hatte.
Er blickte durch die Tür ins Schlafzimmer. Hayward saß aufrecht im Bett und sah zauberhaft aus, obwohl sie erst vor einer Stunde aus tiefem Schlaf aufgewacht war. Der Wecker auf der Kommode zeigte zehn Minuten vor sechs. Erstaunlich, dass sein ganzes Leben in nur anderthalb Stunden auf den Kopf gestellt worden war.
Sie erwiderte seinen Blick, wobei ihre Miene jedoch kaum zu entziffern war. »Das wär’s also? Da kommt Pendergast quasi aus dem Nichts mit irgend so einer verrückten Geschichte, und bamm!, du lässt dich von ihm einfach entführen?«
»Laura, er hat gerade eben herausgefunden, dass seine Frau ermordet wurde. Er glaubt, dass nur ich ihm in dieser Sache helfen kann.«
»Helfen? Wie wär’s damit, dass du dir selber hilfst? Du bist nämlich immer noch dabei, dich aus dieser Grube zu ziehen, in die du wegen des Diogenes-Falls gefallen bist. Eine Grube, die, nebenbei bemerkt, Pendergast dir gegraben hat.«
»Er ist mein Freund«, antwortete D’Agosta. Was selbst in seinen Ohren lahm klang.
»Es ist unglaublich.« Laura schüttelte ihre langen schwarzen Haare. »Als ich zu Bett ging, hat man dich angerufen, damit du in einem ganz normalen Mord ermittelst. Und jetzt wache ich auf und stelle fest, dass du deine Sachen packst, um zu verreisen. Und du kannst mir noch nicht einmal sagen, wann du zurückkommst?«
»Liebling, es wird nicht lange dauern. Mein Job hier ist auch mir wichtig.«
»Und ich? Was ist mit mir? Der
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