Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
da würden alle, wenn auch widerstrebend, zustimmen.
D’Agosta sah sich um. Trotz der Kälte hatte sich hinter dem Absperrband eine ziemlich große Menschenmenge gebildet, East-Village-Rocker und Yupsters und Metrosexuelle oder wie immer zum Teufel man diese Leute heutzutage nannte. Das Team von der Spurensicherung beschäftigte sich nach wie vor mit dem Toten, die Sanitäter warteten auf der einen Seite, der Besitzer des ausgeraubten Restaurants wurde von Detectives befragt. Alle gingen ihrer Arbeit nach. Alles im Griff. Ein sinnloser, idiotischer Drecksfall, der einen wahren Sturm von Papierkram, Befragungen, Berichten, Analysen, Beweismittel-Kartons, Anhörungen, Pressekonferenzen auslösen würde. Und das alles wegen zweihundert lausiger Dollar, damit sich ein Junkie einen Schuss setzen konnte.
D’Agosta überlegte gerade, wann er sich wohl auf elegante Weise verabschieden konnte, als er am gegenüberliegenden Ende des abgesperrten Bereichs einen Ruf hörte und einen Aufruhr sah. Jemand hatte sich unter das Absperrband geduckt und ohne Erlaubnis den Tatort betreten. Wütend wandte sich D’Agosta um – und vor ihm stand Special Agent A. X. L. Pendergast, verfolgt von zwei uniformierten Beamten.
»Hallo, Sie …!«, rief einer der Beamten und packte Pendergast grob an der Schulter. Mit einer routinierten Bewegung befreite sich Pendergast, zog seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn dem Beamten unter die Nase.
»Was zum Te–?« Der Beamte wich einen Schritt zurück. »Bundespolizei, der Typ ist vom FBI .«
»Was will der denn hier?«, fragte der andere.
»Pendergast!«, rief D’Agosta und trat rasch auf ihn zu. »Was führt Sie denn hierher? Dieser Fall gehört doch nicht gerade zu der Art von –«
Pendergast brachte ihn mit einer heftigen Geste zum Schweigen: Er zog mit der Hand einen Strich durch die Luft zwischen ihnen. In dem vom Neonlicht erhellten Halbdunkel wirkte sein Gesicht so weiß, dass er beinahe wie ein Gespenst aussah. Pendergast war wie stets wie ein wohlhabender Bestattungsunternehmer gekleidet, im für ihn typischen maßgeschneiderten schwarzen Anzug. Nur dass der Agent diesmal irgendwie anders aussah – ganz anders. »Ich muss mit Ihnen sprechen. Sofort.«
»Klar, kein Problem. Sobald ich hier alles unter Dach und Fach –«
»Ich meine
sofort, auf der Stelle,
Vincent.«
D’Agosta starrte ihn ungläubig an. Das war gar nicht der coole, entspannte Pendergast, den er so gut kannte. So hatte er ihn noch nie erlebt: wütend, brüsk, mit hastigen Bewegungen. Und nicht nur das. Der sonst stets makellos gebügelte Anzug war zerknittert und zerdrückt, wie er bei näherem Betrachten feststellte.
Pendergast packte ihn am Revers. »Ich muss Sie um einen Gefallen bitten. Um mehr als einen Gefallen. Kommen Sie mit.«
Die vehemente Aufforderung verblüffte D’Agosta derart, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als ihr Folge zu leisten. Er verließ den Tatort unter den Blicken seiner Kollegen, folgte Pendergast an der Menschenmenge vorbei und ging die Straße hinunter, dorthin, wo der Rolls-Royce im Leerlauf stand. Am Steuer saß Proctor, der Chauffeur, mit bemüht ausdrucksloser Miene.
D’Agosta musste fast laufen, um mit Pendergast Schritt zu halten. »Sie wissen, ich helfe Ihnen, wie immer ich auch kann –«
»Sagen Sie kein Wort, sprechen Sie nicht, bis Sie sich angehört haben, was ich Ihnen mitzuteilen habe.«
»Sicher, klar«, fügte D’Agosta hastig hinzu.
»Steigen Sie ein.«
Pendergast setzte sich in den Fond, D’Agosta neben ihn. Pendergast zog ein Fach in der Tür auf und klappte eine kleine Bar auf. Dann griff er nach einer Kristallkaraffe, goss drei Fingerbreit Brandy ins Glas und trank die Hälfte davon in einem einzigen Schluck. Schließlich stellte er die Karaffe zurück und wandte sich zu D’Agosta um. Seine silbrigen Augen glitzerten vor Intensität. »Es handelt sich um keine normale Bitte. Wenn Sie es nicht können oder wollen, dann habe ich vollstes Verständnis dafür. Aber Sie dürfen mich nicht mit Fragen belasten, Vincent. Ich habe keine Zeit, ich habe einfach …
keine … Zeit.
Hören Sie zu und geben Sie mir dann Ihre Antwort.«
D’Agosta nickte.
»Sie müssen sich vom Dienst beurlauben lassen. Möglicherweise für ein Jahr.«
»Für ein
Jahr?
«
Pendergast kippte den restlichen Brandy hinunter. »Die ganze Sache kann Monate dauern, vielleicht auch nur Wochen. Aber ich kann einfach nicht sagen, wie lange sie uns in Anspruch nehmen
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