Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
wird.«
»Worum geht es bei ›dieser Sache‹?«
Einen Moment lang schwieg Pendergast. »Ich habe Ihnen gegenüber noch nie von meiner verstorbenen Frau Helen gesprochen, nicht wahr?«
»Nein.«
»Sie ist vor zwölf Jahren ums Leben gekommen, als wir in Afrika auf Safari waren. Sie wurde von einem Löwen angegriffen.«
»O Gott, das tut mir leid.«
»Damals habe ich geglaubt, dass es sich um einen schrecklichen Unfall handelte. Heute weiß ich, dass dem nicht so war.«
D’Agosta wartete.
»Heute weiß ich, dass sie ermordet wurde.«
»O Gott.«
»Die Fährte ist kalt. Ich brauche Sie, Vincent. Ich benötige Ihre Fähigkeiten, Ihr Köpfchen, Ihre Kenntnisse der arbeitenden Klasse, Ihre Art zu denken. Sie müssen mir helfen, die Person – oder die Personen –, die das getan hat, ausfindig zu machen. Ich erstattete Ihnen natürlich sämtliche Auslagen und sorge dafür, dass Ihr Gehalt und Ihre Krankenversicherung weitergezahlt werden.«
Es wurde still im Rolls. D’Agosta war wie vor den Kopf gestoßen. Was würde eine Zusage für seine Karriere bedeuten, seine Beziehung zu Laura Hayward … seine Zukunft? Es wäre verantwortungslos. Nein, mehr als das: Es wäre völlig verrückt.
»Handelt es sich um eine offizielle polizeiliche Ermittlung?«
»Nein. Nur wir beide würden ermitteln. Der Mörder kann sich überall auf der Welt verstecken. Wir würden völlig außerhalb des Systems –
jedes
Systems – operieren.«
»Und wenn wir den Mörder finden? Was dann?«
»Dann sorgen wir dafür, dass Recht geschieht.«
»Was bedeutet?«
Wieder schenkte sich Pendergast mit wütender Geste ein ordentliches Quantum Brandy ein, trank einen großen Schluck und fixierte D’Agosta aus kalten, platinhellen Augen.
»Dann töten wir ihn.«
7
Der Rolls-Royce raste die Park Avenue hinauf. Noch spät auf der Suche nach Kunden umherfahrende Taxis huschten in Schleiern aus Gelb vorbei. D’Agosta saß mit Pendergast im Fond, fühlte sich unwohl in seiner Haut und bemühte sich, keinen neugierigen Blick auf den Agenten zu werfen. Der war nämlich ungeduldig, ungekämmt und – am erstaunlichsten von allem – innerlich aufgewühlt.
»Wann haben Sie das herausgefunden?«, traute er sich zu fragen.
»Heute Nachmittag.«
»Und wie sind Sie dahintergekommen?«
Pendergast antwortete nicht gleich, sondern blickte aus dem Fenster, während der Rolls mit hoher Geschwindigkeit in die 72. Straße in Richtung Central Park einbog. Er stellte das leere Brandyglas, das er auf der ganzen Fahrt achtlos in der Hand gehalten hatte, in die kleine Bar zurück. Dann holte er tief Luft. »Vor zwölf Jahren wurden Helen und ich gebeten, in Sambia einen Menschenfresser-Löwen zu töten – einen Löwen mit ungewöhnlich roter Mähne. Genau ein solcher Löwe hatte vierzig Jahre vorher in der Gegend sein Unwesen getrieben.«
»Um warum hat man Sie darum gebeten?«
»Zum Teil, weil wir eine professionelle Jagdlizenz besaßen. Sie verpflichtet den Jäger, jedes Tier, das Dörfer oder Camps bedroht, zu töten, sofern die Behörden ihn dazu auffordern.« Pendergast schaute weiter aus dem Fenster. »Der Löwe hatte in einem Safari-Camp einen deutschen Touristen getötet. Helen und ich sind dort hingefahren, um das Tier zu erlegen.«
Er nahm die Brandyflasche in die Hand, warf einen Blick darauf und stellte sie in die Halterung zurück. Mittlerweile fuhr der Rolls durch den Central Park, die skelettartigen Äste der Bäume hoben sich deutlich vor den Regenwolken am Himmel ab. »Der Löwe hat uns aus seiner tiefen Deckung attackiert, er ist über mich und den Fährtenleser hergefallen. Während er in den Busch zurücklief, hat Helen auf ihn geschossen und anscheinend verfehlt. Sie ist losgegangen, um sich um den Fährtenleser zu kümmern …« Pendergasts Stimme bebte leicht; er rang um Fassung. »Helen ist losgegangen, um sich um den Fährtenleser zu kümmern, und da ist der Löwe zum zweiten Mal aus dem Busch gestürmt. Und hat Helen fortgezerrt. Da habe ich sie zum letzten Mal gesehen. Zumindest lebendig.«
»O mein Gott.« D’Agosta lief es eiskalt den Rücken herunter.
»Heute Nachmittag habe ich im alten Plantagenhaus meiner Familie zufällig Helens Jagdbüchse inspiziert. Und dabei festgestellt, dass jemand an jenem Tag vor zwölf Jahren die Patronen aus ihrer Waffe entfernt und durch Platzpatronen ersetzt hat. Helen hatte gar nicht danebengeschossen – und zwar, weil sie gar keinen Schuss abgegeben hatte.«
»Heiliger
Weitere Kostenlose Bücher