Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
auffällig und elegant, wie der Rest der Stadt unscheinbar war. Was er da sah, war groß, das stimmte, aber elegant war es keinesfalls. Es wirkte eher wie ein Fort aus der Zeit, als die USA Louisiana kauften. Erbaut aus riesigen, rohbehauenen Holzbohlen, verfügte es an beiden Seiten über hohe Türme und eine breite, gedrungene Mittelfassade mit unzähligen kleinen Fenstern. Oberhalb davon war der bizarre Anachronismus eines Witwengangs zu sehen, der von einer eisernen Balustrade mit spitzen Zacken umsäumt war. Das Haus stand allein auf einer kleinen Anhöhe. Dahinter, zum Osten hin, erstreckte sich ein dichtes, dunkles, bis zum riesigen Black-Brake-Sumpf reichendes Waldgebiet. Während D’Agosta das Gebäude betrachtete, zuckte ein Blitz über dem Wald auf und tauchte die Umrisse kurz in ein gespenstisches gelbliches Licht.
»Sieht so aus, als hätte jemand versucht, ein Schloss mit einer Blockhütte zu kreuzen«, sagte er.
»Der ursprüngliche Eigentümer war schließlich Holzbaron.« Pendergast nickte in Richtung des Witwengangs. »Ohne Zweifel hat er ihn genutzt, um sein Reich zu überwachen. Ich habe gelesen, dass ihm fünfundzwanzigtausend Hektar Land gehörten, einschließlich der Sumpfzypressenwälder im Black Brake, bevor die Regierung das Land erwarb und in einen Staatsforst und ein Naturschutzgebiet umwandelte.«
Er fuhr vor das Haus, bremste und warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel, dann steuerte er den Wagen ums Haus herum und schaltete den Motor aus.
»Erwarten Sie Gesellschaft?«, fragte D’Agosta.
»Es hat keinen Sinn, Aufmerksamkeit zu erregen.«
Jetzt begann es so richtig zu regnen, dicke Tropfen, die gegen die Windschutzscheibe und auf das Stoffverdeck prasselten. Pendergast stieg aus, D’Agosta folgte rasch seinem Beispiel. Im Laufschritt liefen sie hinüber zur überdachten hinteren Veranda. D’Agosta blickte fast ein wenig ängstlich zu dem weitläufigen Gebäude hinauf. Es war genau die Art exzentrisches Domizil, das einem Romanautor gefallen konnte. Jedes kleine Fenster war sorgsam mit Fensterläden verschlossen, die Haustür mit einem Vorhängeschloss und einer Kette gesichert. Rings um das Haus hatte sich eine üppige Vegetation entwickelt und verdeckte das Mauerwerk, wobei auch etliche Holzbohlen von Moosen und Flechten überzogen waren.
Pendergast sah sich ein letztes Mal um, dann widmete er sich dem Vorhängeschloss. Er hielt es an der Haspe und drehte es mal hierhin, mal dorthin, dann nahm er es in die andere Hand und hielt ein kleines Werkzeug über das Zylindergehäuse. Ein paar schnelle Drehungen, dann sprang das Vorhängeschloss auf. Pendergast entfernte die Kette und ließ sie zu Boden fallen. Auch die Tür selbst war verschlossen; Pendergast beugte sich über das Schloss, und im Nu hatte er den Mechanismus mit demselben Werkzeug geknackt. Dann richtete er sich wieder auf, drehte den Türknauf und schob die Tür laut quietschend weit auf. Nachdem er eine Taschenlampe hervorgeholt hatte, trat er ein. D’Agosta hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man bei der Zusammenarbeit mit Pendergast stets zwei Dinge brauchte: eine Schusswaffe und eine Taschenlampe. Jetzt zog er seine Taschenlampe hervor und folgte Pendergast ins Haus.
Sie befanden sich in einer großen, altmodischen Küche. In der Mitte stand ein Frühstückstisch aus Holz, vor der gegenüberliegenden Wand reihten sich ein Herd, eine Spüle, ein Kühlschrank und eine Waschmaschine. Hier endete jedoch schon jede Ähnlichkeit mit einer üblichen Küche. Die Schränke standen offen, das Porzellan- und das Glasgeschirr, fast alles davon zerbrochen, war von den Regalen auf die Arbeitsplatten und den Fußboden gefegt worden. Hier und da waren Reste von Lebensmitteln zu sehen – Mehl, Reis, Bohnen –, vertrocknet, von Ratten auseinandergescharrt und mit Rändern aus uraltem Schimmel. Die Stühle waren umgestoßen und zersplittert, die Wände von Löchern durchsetzt, geschaffen von einem Vorschlaghammer oder vielleicht einer Faust. Der Putz war in Placken von der Decke gefallen und hatte sich hier und da auf dem Boden zu kleinen Häufchen aus weißem Kalk getürmt, in denen die Spuren von Ungeziefer und Kot deutlich zu erkennen waren. D’Agosta leuchtete mit der Taschenlampe im Raum herum, um sich diesen Wirbelwind an Zerstörung genauer anzusehen. Der Lichtschein verharrte in einer Ecke, wo eine große, vor langer Zeit getrocknete Lache von etwas – Blut? – zu sehen war. An der Wand darüber, auf
Weitere Kostenlose Bücher