Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
die Tür zu öffnen. Die ging aber einfach nicht auf.
»Ist ja mal was Neues«, sagte D’Agosta.
»Wenn Sie sich bitte die oberen Türpfosten ansehen, mein lieber Freund, dann erkennen Sie, dass die Tür nicht nur abgeschlossen, sondern verschraubt ist.« Er ließ den Türknauf los. »Wir kommen hierauf noch zurück. Schauen wir uns vorher das Dachgeschoss an.«
Das Dachgeschoss des alten Hauses bestand aus einem Gewirr kleiner Räume, die bis oben hin mit stockfleckigen Möbeln und altem Gepäck vollgestellt waren. Sie nahmen eine gründliche Durchsuchung der Kisten und Koffer vor, wobei sie erstickende Wolken von Staub aufwirbelten, jedoch nichts Interessanteres fanden als muffige alte Bekleidungsstücke und Bündel von Zeitungen, die sortiert, gestapelt und mit Bindfaden verschnürt waren. Pendergast stöberte in einem alten Werkzeugkasten, nahm einen Schraubenzieher heraus und steckte ihn in die Tasche.
»Schauen wir mal in den beiden Türmen nach«, sagte er und wischte sich mit sichtlichem Abscheu den Staub vom schwarzen Anzug. »Dann gehen wir das verrammelte Zimmer an.«
Die Türme waren zugig, die Wendeltreppen und Nischen voller Spinnen, Rattenkot und Stapeln von vergilbten alten Büchern. Jede Treppe endete in einem winzigen Aussichtszimmer, die Fenster waren schmal wie die Schießscharten einer Burg und boten einen Blick auf den von Blitzen erhellten Wald. D’Agosta merkte, dass er immer ungeduldiger wurde. Wie es schien, hatte das Haus kaum mehr als Wahnsinn und Rätsel anzubieten. Warum war Helen Pendergast hergekommen – wenn sie überhaupt hier gewesen war?
Nachdem sie in den Türmen nichts von Interesse gefunden hatten, kehrten sie ins Haupthaus und zur verschraubten Tür zurück. Während D’Agosta die Taschenlampe hielt, drehte Pendergast zwei lange Schrauben heraus. Er drehte am Türknauf, schob die Tür auf und betrat das Zimmer. D’Agosta folgte – und wäre vor lauter Überraschung beinahe rückwärts getaumelt.
Es war, als befände man sich in einem Fabergé-Ei. Das Zimmer war nicht groß, doch es kam D’Agosta wie ein Kleinod vor – angefüllt mit Schätzen, die vor lauter innerer Strahlkraft funkelten. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt und mit Segeltuch verhängt, so dass die Inneneinrichtung auf beinahe hermetische Weise erhalten worden war, wobei jede Oberfläche so liebevoll poliert war, dass selbst zehn Jahre der Unbewohntheit den Glanz nicht trüben konnten. An jedem Quadratzentimeter Wand hingen Bilder, der Raum war randvoll mit prachtvollen, geschreinerten Möbeln und Skulpturen, der Boden ausgelegt mit traumhaft schönen Teppichen, auf kleinen Kissen aus schwarzem Samt waren funkelnde Schmuckgegenstände ausgelegt.
In der Mitte des Zimmers stand ein einzelnes Sofa, der Bezug war aus dunkel gegerbtem Leder, in das ganz erstaunliche abstrakte Blumenmuster gepunzt worden waren. Das Auf und Ab der handgearbeiteten Linien war so gekonnt gemacht, war auf so geradezu hypnotische Weise schön, dass D’Agosta kaum den Blick davon abwenden konnte. Dennoch erregten andere Gegenstände seine Aufmerksamkeit noch stärker. An einem Ende standen mehrere groteske Skulpturen, längliche Köpfe darstellend, geschnitzt aus exotischem Holz, neben einer Ansammlung erlesener Schmuckstücke aus Gold, Edelsteinen und schimmernden schwarzen Perlen.
Schweigend und verwundert schritt D’Agosta durch das Zimmer, kaum imstande, seine Aufmerksamkeit auf irgendeinen Gegenstand zu lenken, bis sein Blick auf ein weiteres Kleinod fiel. Auf einem Tisch stand eine Sammlung kleinformatiger, handgefertigter Bücher in eleganter Lederbindung mit Goldprägung. D’Agosta nahm eines davon in die Hand und blätterte darin. Es war voll von Gedichten, handgeschrieben in schöner Schrift, unterzeichnet und datiert von Karen Doane. Die handgewebten Teppiche lagen in mehreren Schichten auf dem Boden und zeigten so farbenfrohe, auffällige geometrische Muster, dass sie das Auge förmlich blendeten. D’Agosta leuchtete mit der Taschenlampe an die Wände und staunte über die Ölgemälde, die ungemein lebendigen, strahlenden Landschaftsbilder, darstellend Waldlichtungen rings um das Haus oder alte Friedhöfe, plastische Stillleben und zunehmend grandiose Landschaften und Traumgebilde. D’Agosta trat vor das am nächsten befindliche Bild und ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe darüber hinweggleiten. Es war am unteren Rand mit M. DOANE signiert
Pendergast stellte sich neben ihn, eine stumme
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