Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Brusthöhe, befanden sich mehrere gezackte Löcher, hervorgerufen von Schüssen aus einer großkalibrigen Schrotflinte, mit ähnlichen Spritzern aus getrocknetem Blut und Innereien.
»Ich nehme an, dass unser Mr. Doane hier seinem Schöpfer begegnet ist«, sagte D’Agosta, »mit besten Grüßen vom Sheriff des Ortes. Sieht ganz danach aus, als hätte ein wüster Kampf stattgefunden.«
»Stimmt, es scheint sich hier tatsächlich um den Ort der Erschießung zu handeln«, erwiderte Pendergast. »Es hat jedoch kein Kampf stattgefunden. Die Beschädigungen stammen aus einer Zeit, die vor dem Zeitpunkt der Erschießung liegt.«
»Was zum Teufel hat sich hier ereignet?«
Pendergast sah sich das Chaos noch einen Augenblick länger an, dann antwortete er: »Ein Abstieg in den Wahnsinn.« Er leuchtete mit der Taschenlampe zu einer Tür in der gegenüberliegenden Wand. »Kommen Sie, Vincent, suchen wir weiter.«
Langsam gingen sie durch das Erdgeschoss und durchsuchten das Esszimmer, den Salon, die Speisekammer, das Wohnzimmer, die Bäder und weitere Räume von unbestimmter Nutzung. Überall stießen sie auf das gleiche Chaos: umgestoßene Möbel, zerbrochene Gläser, in Dutzende Teile zerrissene Bücher, die auf dem Boden verstreut herumlagen. Im Kamin im kleinen Zimmer sahen sie Hunderte kleiner Knochen. Pendergast untersuchte sie sorgfältig und sagte, es handele sich um die Überreste von Eichhörnchen, die – danach zu urteilen, wie sie zueinander lagen – in den Schornstein gestopft worden und dort verblieben waren, bis Zersetzung und Verwesung schließlich dazu geführt hätten, dass sie auf die Kaminböcke hinabfielen. In einem anderen Zimmer fanden sie eine dunkle, schmuddelige Matratze, umgeben von den Resten zahlloser uralter Mahlzeiten: leere Sardinenbüchsen, Einwickelpapier von Süßigkeitsriegeln, zerdrückte Bierdosen. Eine Ecke des Zimmers war offenbar als Latrine genutzt worden, ohne dass man sich um Hygiene oder den Schutz der Intimsphäre bemüht hätte. An keiner Wand des Raumes hingen Bilder, ob nun schwarz oder auf sonstige Weise gerahmt. Das einzige »Verschönerungselement« waren endlose Kritzeleien mit violettem Leuchtmarker, ein wüstes Durcheinander von Schnörkeln und manischen Strichen, das den Betrachter durchaus beunruhigen konnte.
»Jesus Maria«, sagte D’Agosta. »Was kann Helen hier bloß gewollt haben?«
»Die ganze Sache ist über alle Maßen merkwürdig«, erwiderte Pendergast, »vor allem, wenn man bedenkt, dass die Familie Doane zur Zeit von Helens Besuch hier der Stolz von Sunflower gewesen ist. Dieser Abstieg in den kriminellen Wahnsinn hat viel später stattgefunden.«
Draußen grollte das Gewitter, begleitet von grellen Blitzen, deren Licht durch die mit Läden verschlossenen Fenster fiel. Sie stiegen ins Untergeschoss hinab, das – wenngleich nicht ganz so verwüstet – Anzeichen eines ähnlichen Tornados irrsinniger Zerstörung aufwies, wie er im Erdgeschoss so unübersehbar gewesen war. Nach einer gründlichen, jedoch ergebnislosen Suche stiegen sie in den ersten Stock hinauf. Hier hatte der Wirbelwind der Verwüstung nicht ganz so stark gewütet, auch wenn es jede Menge beunruhigende Anzeichen gab. In einem Raum – eindeutig das Zimmer des Sohnes – war eine Wand fast vollständig mit Preisen für akademische Leistungen und Auszeichnungen für die Freiwilligenarbeit für die Gemeinde bedeckt. Auf Grundlage ihrer Informationen datierten diese ein, zwei Jahre vor oder nach Helen Pendergasts Besuch in der Stadt. Die gegenüberliegende Wand hing genauso voll, und zwar mit vertrockneten Tierschädeln – Schweine, Hunde, Ratten. Diese waren allesamt auf die gröbstmögliche Weise ans Holz genagelt worden, ohne dass man sich die Mühe gemacht hatte, sie zu säubern oder zumindest ausbluten zu lassen. Getrocknetes Blut lief in dicken Fäden aus jeder mumifizierten Trophäe auf die darunter an die Wand genagelte.
Das Zimmer der Tochter machte einen noch unheimlicheren Eindruck, denn es fehlte darin jede persönliche Note. Das einzige hervorstechende Merkmal bestand aus einer Reihe ähnlich gebundener roter Bände auf einem Bücherbord, auf dem sich ansonsten nur noch eine Gedicht-Anthologie befand.
Nach und nach gingen sie durch die leeren Zimmer. Währenddessen versuchte D’Agosta dem Ganzen einen Sinn abzugewinnen.
Am Ende des Flurs gelangten sie an eine verschlossene Tür.
Pendergast zog seine Einbruchswerkzeuge hervor, knackte das Schloss und versuchte,
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