Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung
dass ich ihm auf der Spur war. Erneut änderte er seine Identität – diesmal zu Willy Linden –, ließ eine Gesichtsoperation vornehmen und siedelte nach Brasilien um. Aber dort endet die Spur. Denn um das Jahr neunzehnhundertsechzig verschwand er völlig. Ich konnte nichts weiter ans Licht holen, absolut nichts, was seinen Aufenthaltsort oder seine Aktivitäten betraf. Mehr noch: Erst fünfundzwanzig Jahre später stieß ich auf seine Grabstelle – und das war fast ein Zufall, eher ein Glückstreffer als das Ergebnis sorgfältiger Ermittlungen. Die sterblichen Überreste wurden erst mittels zahnärztlicher Unterlagen und später durch DNA -Proben identifiziert.«
»Wann ist er gestorben?«, fragte Pendergast.
»Soweit sich das eingrenzen lässt, irgendwann in den späten siebziger Jahren, achtundsiebzig oder neunundsiebzig.«
»Und Sie haben keine Ahnung, was er in diesen letzten zwanzig Jahren getan hat?«
Weiss zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich bemüht, es herauszufinden. Weiß Gott, ich hab es versucht.« Weiss trank sein Glas aus, wobei seine Hand jetzt leicht zitterte.
Einige Minuten lang blieben die beiden Männer schweigend sitzen, dann blickte Weiss Pendergast an.
»Und nun verraten Sie mir einmal, Mr. Pendergast, warum Sie sich für Wolfgang Faust interessieren.«
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass er möglicherweise … auf irgendeine Art mit einem Todesfall in meiner Familie zu tun hat.«
»Ah ja. Natürlich. Er hat Tausende Familien auf diese Weise zerstört.« Weiss hielt kurz inne. »Nachdem ich auf die sterblichen Überreste gestoßen war, war der Fall im Grunde abgeschlossen. Andere Nazijäger hatten wenig Interesse, die Lücken in Fausts Leben auszufüllen. Der Mann war tot, warum sich weiter damit abgeben? Aber eine Leiche zu finden oder jemanden vor Gericht zu bringen, reicht einfach nicht aus. Ich glaube, wir müssen alles wissen, was es über dieses Ungeheuer zu wissen gibt. Es ist unsere Verantwortung und unsere Pflicht zu verstehen. Außerdem gibt es noch so viele unbeantwortete Fragen, was Faust betrifft. Warum wurde er am Ende der Welt, in einem schlichten Kiefernsarg beerdigt? Wieso hatte niemand in der Umgebung eine Ahnung, wer er war? Niemand, den ich in einem Zwanzig-Meilen-Radius der Grabstelle befragt habe, hatte den Mann namens Willy Linden je gesehen oder von ihm gehört. Aber nach meinem Unfall … gab es niemanden, der die Sache von mir übernehmen wollte.
Meier,
hat man mir gesagt,
der Mann ist tot. Du hast sein Grab gefunden. Was willst du mehr?
Ich bemühe mich, nicht verbittert zu sein.«
Plötzlich stellte Weiss das leere Glas ab und schob den Aktenordner Pendergast hin. »Wollen Sie mehr darüber herausbekommen, was der Mann in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens getrieben hat? Dann tun Sie es. Führen Sie meine Arbeit fort.« Er ergriff Pendergasts Handgelenk. Weiss mochte zwar an den Rollstuhl gefesselt sein, doch allem sanften Gebaren zum Trotz besaß er die Wildheit und Stärke eines Löwen.
Pendergast wollte seinen Arm befreien, aber Weiss hielt ihn fest. »Führen Sie meine Arbeit fort«, wiederholte er. »Finden Sie heraus, wo sich dieser Teufel aufgehalten, was er getrieben hat. Dann können wir das Buch über diesen Dachau-Arzt endlich schließen.« Er sah Pendergast ins Gesicht. »Wollen Sie das tun?«
»Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte Pendergast.
Nach einer Weile entspannte sich Weiss und ließ Pendergasts Handgelenk los. »Aber geben sie acht. Noch heute haben Teufel wie Doktor Faust ihre Unterstützer … diejenigen, die die Nazi-Geheimnisse bewachen, und zwar selbst bis über seinen Tod hinaus.« Er tippte bedeutungsvoll auf die Armlehne des Rollstuhls.
Pendergast nickte. »Ich werde achtgeben.«
Der Anfall von Leidenschaftlichkeit hatte sich gelegt, und Weiss’ Miene wirkte wieder ruhig und sanft. »Dann bleibt uns nur noch eines zu tun. Noch ein Glas zu trinken, wenn Sie Lust dazu haben.«
»Gern. Bitte richten Sie Ihrer Frau aus, dass sie ausgezeichnete Juleps mixt.«
»Aus dem Munde eines Mannes, der aus dem tiefen Süden stammt, ist das ein großes Kompliment.« Und damit hob Weiss den Krug und füllte ihre Gläser nach.
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New York City
Dr. Ostroms Büro im Mount Mercy war früher – ziemlich passend, wie Esterhazy fand – das Sprechzimmer des »Irrenarztes« des Krankenhauses gewesen. Es wies noch immer Spuren aus jenen Tagen auf, in denen das Gebäude als Klinik für reiche
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