Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung
in eine schmale Allee mit längst abgestorbenen Kastanien. Auch Felder bog ab. Durch die Bäume hindurch zeichneten sich der East River und die zahllosen schemenhaften Gebäude der East Side von Manhattan ab. So nah und doch so sehr, sehr fern.
Der Mannschaftswagen drosselte die Geschwindigkeit, dann hielt er vor einem hohen gusseisernen Tor. Ein Wachmann trat aus dem Häuschen daneben und ging zum Fahrer hinüber. Er warf einen kurzen Blick auf das Klemmbrett, das der Fahrer ihm hinhielt, dann nickte er, kehrte in sein Wachhäuschen zurück und ließ das Tor per Knopfdruck aufschwenken. Während die beiden Fahrzeuge auf das Gelände fuhren, fiel Felders Blick auf eine Bronzeplakette am Tor: MOUNT MERCY HOSPITAL FÜR PSYCHISCH KRANKE STRAFTÄTER . Zwar hatte es in jüngster Zeit Bemühungen gegeben, der Einrichtung einen moderneren, weniger stigmatisierenden Namen zu verleihen, aber allem Anschein nach würde die mächtige Plakette noch eine Weile an ihrem Platz bleiben.
Der Mannschaftswagen fuhr auf eine kleine, mit Kopfstein gepflasterte Parkzone. Felder stellte seinen Volvo neben dem Polizeifahrzeug ab, stieg aus und blickte an dem riesigen neugotischen Bau hinauf, dessen prächtige alte Fenster mittlerweile vergittert waren. Es war die wohl pittoreskeste – um nicht zu sagen ungewöhnlichste – psychiatrische Klinik in ganz Amerika. Es hatte Felder sehr viel Zeit und Papierkram gekostet, die Überführung zu organisieren, und deshalb war er nicht nur ein wenig verärgert, dass der Mann, der ihm als Gegenleistung für diesen Gefallen versprochen hatte, über die Gefangene »alles zu enthüllen«, wie vom Erdboden verschluckt war.
Rasch schweifte sein Blick von dem Gebäude zum Mannschaftswagen der Polizei. Ein Gefängniswärter war vom Beifahrersitz aufgestanden, zur Hecktür gegangen und schloss sie gerade mit einem Schlüssel an einem großen Schlüsselbund auf. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und ein Polizeibeamter, uniformiert und mit einer Schrotflinte bewaffnet, trat heraus. Während er mit dem Gewehr im Anschlag wartete, streckte der Gefängniswärter die Hand in den Mannschaftswagen, um dem anderen Insassen aus dem Wagen zu helfen.
Während Felder zuschaute, trat eine junge Frau Anfang zwanzig in die Abendluft. Sie hatte dunkles, zu einem kurzen, modischen Bob geschnittenes Haar, eine recht tiefe, melodiöse Stimme – zu hören, als sie dem Beamten für seine Hilfe dankte – und sprach in reserviertem, altmodischem Tonfall. Sie trug eine Gefängnisuniform, und ihre Hände steckten vor dem Körper in Handschellen. Während sie zum Eingang der Klinik geführt wurde, hielt sie den Kopf hoch und ging anmutig und würdevoll in aufrechter Haltung.
Felder schloss sich der kleinen Gruppe an, sobald diese an ihm vorbeikam.
»Doktor Felder«, sagte die junge Frau und nickte ihm ernst zu. »Es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen.«
»Ganz meinerseits, Constance.«
Als sie sich der Eingangstür näherten, wurde diese von innen aufgeschlossen und von einem äußerst gepflegt aussehenden Mann geöffnet, der einen weißen Arztkittel über einem teuren Anzug trug. »Guten Abend, Miss Greene«, sagte er in ruhigem, leisem Tonfall, so, als spräche er mit einem Kind. »Wir haben Sie schon erwartet.«
Constance machte einen angedeuteten Knicks.
»Ich bin Doktor Ostrom, Ihr behandelnder Arzt hier im Mount Mercy.«
Die junge Frau neigte den Kopf. »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Doktor Ostrom. Bitte nennen Sie mich Constance.«
Sie betraten den Wartebereich. Es war warm in dem Gebäude, die Luft roch leicht nach Desinfektionsmittel. »Ich kenne Ihren, äh, Vormund, Aloysius Pendergast«, fuhr Dr. Ostrom fort. »Es tut mir sehr leid, dass wir Sie nicht früher hierherholen konnten, aber es hat länger als erwartet gedauert, die nötigen Papiere zusammenzubekommen.«
Während Ostrom dies sagte, wechselte er einen kurzen Blick mit Felder. Felder wusste, dass das Zimmer, das Constance – nach einer gründlichen Durchsuchung – im Mount Mercy beziehen würde, sehr sorgfältig gereinigt worden war, erst mit einem scharfen Reinigungsmittel, dann mit einem Desinfektionsmittel, und schließlich mit drei Schichten ölbasierter Farbe gestrichen worden war. Diese Maßnahmen waren deshalb für notwendig erachtet worden, weil die vorherige Bewohnerin des Zimmers für ihr Faible für Gifte berühmt war.
»Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre Aufmerksamkeit, Doktor Ostrom«, sagte
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