Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung
war. Auf einmal stockte er. Da war ja der Tabakladen. Und zwei Häuser weiter Huddell’s Drogerie. Gegenüber lag der Herrenausstatter, London Town, und an der Ecke Mrs. Sarratts Akademie für Kinder.
Langsam klappte er die Mappe zu. Die Erklärung lag natürlich auf der Hand. Constance hatte die heutige Ausgabe der
Times
schon gelesen. Wenn man so wissbegierig war wie sie, wollte man schließlich wissen, was in der Welt so vor sich ging. Felder setzte sich in Richtung Empfang in Bewegung.
Als er sich dem Empfangstresen näherte, sah er Ostrom, der in einer offenen Tür stand und sich gerade mit einer Krankenschwester unterhielt.
»Doktor Ostrom?«, fragte Felder etwas atemlos.
Ostrom erwiderte seinen Blick und hob fragend die Augenbrauen.
»Constance hat doch die Morgenzeitung gelesen, oder? Die
Times?
«
Ostrom schüttelte den Kopf.
Felder erschrak. »Nein? Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher. Die einzigen Zeitungen, Radio- und Fernsehgeräte, zu denen die Patienten Zugang haben, befinden sich in der Bibliothek. Außerdem war Constance den ganzen Vormittag auf ihrem Zimmer.«
»Niemand hat sie gesehen? Keine Krankenschwester, niemand vom nichtärztlichen Personal?«
»Niemand. Seit gestern Abend wurde ihre Tür nicht mehr aufgeschlossen. Das steht eindeutig im Protokoll.« Er runzelte die Stirn. »Stimmt irgendetwas nicht?«
Felder merkte, dass er die Luft angehalten hatte. Langsam atmete er aus. »Nein, alles in Ordnung. Vielen Dank.«
Und dann verließ er die Eingangshalle und trat in den hellen Sonnenschein.
[home]
20
Corrie Swanson hatte bei Google Alert das Stichwort »Aloysius Pendergast« eingegeben. Um zwei Uhr nachts, als sie ihren Laptop hochfuhr und ihre E-Mails abfragte, sah sie, dass sie einen Treffer hatte. Es handelte sich um ein obskures Dokument, die Abschrift einer gerichtlichen Untersuchung, die in einer Ortschaft namens Cairn Barrow, Schottland, stattgefunden hatte. Zwar lag die Untersuchung schon einige Wochen zurück, aber die Abschrift war erst heute online gestellt worden.
Während sie den in trockener Juristensprache verfassten Text las, überkam sie allmählich ein Gefühl vollkommenen Unglaubens. Die Abschrift enthielt weder einen Kommentar noch eine Analyse, ja nicht einmal ein Fazit, sondern war lediglich die Wiedergabe der Aussagen verschiedener Zeugen im Zusammenhang mit einem Jagdunfall in irgendeinem Moor im schottischen Hochland. Ein furchtbarer, völlig unglaubwürdiger Vorfall.
Sie las den Text wieder und wieder und noch einmal, wobei sich ihr Gefühl der Irrealität jedes Mal steigerte. Ganz klar, diese seltsame Erzählung war nur die Spitze des Eisbergs, die wahre Geschichte lag unter Wasser. Nichts davon ergab Sinn. Corries Gefühle wandelten sich. Erst zweifelte sie, dann kam ihr alles irreal vor, und schließlich empfand sie eine angstvolle Verzweiflung. Pendergast, erschossen bei einem Jagdunfall? Unmöglich.
Mit ein wenig zittrigen Fingern zog sie ihr Notizbuch aus der Handtasche und schlug eine Telefonnummer nach, zögerte, dann fluchte sie leise und wählte die Nummer. Es war D’Agostas Privatnummer, deshalb würde er nicht gerade erfreut sein, zu dieser Stunde angerufen zu werden, aber scheiß drauf, der Bulle hatte sie nicht zurückgerufen, er hatte sein Versprechen, sich um die Sache zu kümmern, nicht eingehalten.
Wieder fluchte sie laut, lauter diesmal, weil sie sich verwählt hatte und nochmals wählen musste.
Das Telefon läutete wohl fünfmal, dann meldete sich eine Frauenstimme. »Hallo?«
»Ich möchte mit Vincent D’Agosta sprechen.« Sie hörte selbst, wie ihre Stimme zitterte.
Stille. »Mit wem spreche ich?«
Corrie atmete tief durch. Wenn sie nicht wollte, dass die Frau auflegte, sollte sie am besten ruhig Blut bewahren. »Ich heiße Corrie Swanson. Ich möchte gern mit Lieutenant D’Agosta sprechen.«
»Der Lieutenant ist nicht zu Hause«, lautete die kühle Antwort. »Möchten Sie vielleicht eine Nachricht hinterlassen?«
»Richten Sie ihm bitte aus, er soll mich anrufen. Corrie Swanson. Er hat meine Nummer.«
»Und in welcher Angelegenheit?«
Sie holte tief Luft. Auf D’Agostas Frau, Freundin oder mit wem immer sie da sprach, wütend zu reagieren, wäre sicherlich wenig hilfreich. »Agent Pendergast. Ich versuche etwas über Pendergast herauszufinden«, sagte sie und fügte hinzu: »Ich habe gemeinsam mit ihm in einem Fall ermittelt.«
»Agent Pendergast ist ums Leben gekommen. Tut mir leid.«
Allein schon, dass sie den
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