Penelope Williamson
laut und klar,
daß alle nach und nach verstummten. Dann drehte er sich um und blickte trotzig
seinen Häuptling an.
Der hagere französische Priester erschien an
Delias Seite. »Normalerweise entscheiden die Frauen darüber, was mit einem
Gefangenen geschieht«, erklärte er mit unbeteiligter monotoner Stimme. »Sie
sagen, du sollst am Marterpfahl sterben.« Er blickte auf die Plattform. »Sie
sagen, du hast das Herz eines Kriegers, und deshalb sollst du wie ein Krieger
sterben.« Er verzog die schmalen Lippen zu einem höhnischen Lächeln. »Du
solltest darüber geschmeichelt sein.«
Das war Delia bestimmt nicht. Sie hatte Angst
und sah fragend den großen Indianer an, der sie als seine Sklavin bezeichnet
hatte. Sie schluckte zweimal und fuhr sich schnell über die trockenen Lippen.
»Und Traumbringer«, rief sie, so laut sie konnte. »Was sagte er
dazu?«
»Er hat dich als seine Frau gefordert«, antwortete der Häuptling
in klarem Englisch. Seine tiefe tönende Stimme hallte über den ganzen Platz.
Erleichterung
und Entsetzen schüttelten Delia gleichermaßen. Sie wollte nicht am Marterpfahl sterben,
aber sie wollte auch nicht ...
»Aber wenn ich nicht ...« Sie
lächelte Traumbringer unsicher an. »Also, ich fühle mich sehr geehrt, aber ich
...«
Delia, du
bist nicht mehr zu retten, beschimpfte sie sich stumm. Willst du vielleicht wie
eine Weihnachtsgans am Spieß gebraten werden?
Traumbringer trat neben sie und
durchbohrte sie mit seinen kalten Augen.
»Ich werde
dich zu meiner Frau machen, Lusifee«, sagte er. Aber eine andere, noch tiefere
Stimme übertönte seine Worte. »Diese Frau gehört mir!«
23
Tyl ritt bewaffnet durch die Tore des Abenaki-Dorfs, aber er saß
sofort ab, band seinen Hengst an einem Pfahl fest, schob die Büchse in die
Satteltasche und ging unbewaffnet weiter.
Bei dem Anblick seines Rivalen richtete sich Traumbringer höhnisch
auf und rief: »Bist du gekommen, um zu sterben, Yengi?«
»Ich bin gekommen, um meine Frau zu holen.«
Tyl antwortete auf Abenaki, aber er beachtete Traumbringer nicht.
Seine Worte galten Assacumbuit, seinem Indianer-Vater.
Der Große Sachem, der Häuptling der
Norridgewocks, blickte seinen Adoptivsohn ernst und mit unbewegter Miene an.
Die gemeißelten Zügen verrieten nichts von seinen Gefühlen, denn ein
Abenaki-Krieger zeigte niemals, was in seinem Herzen vorging. Tyl bemühte sich,
ein ebenso ausdrucksloses Gesicht zu machen, aber er bezweifelte, daß es ihm so
gut gelang wie Assacumbuit. Er hatte den Häuptling seit mehr als zehn Jahren
nicht mehr gesehen. Als Kind hatte Tyl ihn bewundert und verehrt, und in seinem
Herzen war er für ihn immer noch der Vater.
Assacumbuits Blick richtete sich auf Delia.
Tyl hatte sie bisher noch nicht beachtet, obwohl ihm nicht entgangen war, daß
sie neben der bewußtlosen Elizabeth kniete.
»Sie ist deine Frau?« fragte der Sachem.
Es wäre einfach gewesen, die Wahrheit etwas zu
verdrehen, aber eher hätte sich Tyl die Zunge ausgerissen, als diesen Mann zu
belügen.
»Ich werde sie zur Frau nehmen.«
Traumbringer trat zwischen die beiden. Seine Augen funkelten
gefährlich. Er hob drohend die Hand mit dem blutigen Tomahawk und rief laut,
daß alle es hörten: »Ich habe sie gefangengenommen. Sie gehört mir.«
Tyl drehte den Kopf beinahe unmerklich in
seine Richtung und preßte die Lippen zusammen. Der Haß der beiden Männer
vibrierte wie eine gespannte Bogensehne. »Und ich werde sie mir zurückholen«,
erklärte Tyl unbeeindruckt.
»Dann mußt du mich zuerst töten.«
»Ich werde dich töten.«
»Du kannst es versuchen ...«
»Genug!«
Assacumbuits Stimme klang scharf wie ein Peitschenschlag und
brachte die beiden Kontrahenten zum Schweigen.
»Ihr zwei habt euch kaum verändert. Ihr habt
euch schon als Kinder aus törichter Eifersucht und Rivalität die Köpfe blutig
geschlagen. Wenn ihr jetzt so dumm seid und um eine wertlose Frau kämpfen
wollt, werde ich es euch erlauben. Aber ...«, er hob die Hand, »diesmal wird es
kein Kampf zwischen kleinen Jungen sein. Ihr müßt nach dem Gesetz unserer Ahnen
in einem Zweikampf um euer Leben kämpfen, denn mit eurem unversöhnlichen Haß
habt ihr bewiesen, daß nur noch einer von euch am Leben bleiben kann. Ich frage
euch noch einmal: Seid ihr beide sicher, daß die Frau das wert ist?«
Tyl und Traumbringer bewegten sich nicht. Sie
sahen sich nicht einmal an. Dieser Kampf war vorherbestimmt, denn zwischen
einem Yengi und einem Indianer konnte es keine
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