Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
Vom Netzwerk:
seinen Gegner.
    Früher hatte er Traumbringer einmal Bruder genannt. Sie hatten
zusammen gejagt und gekämpft, getanzt und gefeiert. Sie hatten zusammen beim
Schwitzbad in der Hütte gesungen. Sie hatten denselben Mann »Vater« genannt.
    Aber zwischen ihnen hatte immer eine Rivalität
geherrscht, die in ihrer Heftigkeit und Härte beinahe an Unversöhnlichkeit
grenzte. Sie waren ungefähr gleich alt – Traumbringer war vielleicht ein oder
zwei Jahre älter. Sein Stiefbruder war schon immer größer und stärker als Tyl
gewesen. Aber auf dem langen, mühseligen Marsch nach Quebec, als ihm das Bild
seines ermordeten Vaters vor Augen stand, hatte Tyl die grenzenlose Macht der
Ausdauer kennengelernt. Er war kleiner als Traumbringer, aber er war
hartnäckiger und zäher.
    Als sich Traumbringer als der bessere
Bogenschütze und Speerwerfer erwies, übte Tyl stundenlang, bis er beides
vollkommen beherrschte. Beim Schwimmen, beim Wettlauf und beim Ringkampf
gewann Tyl von da ab immer. Er mochte vielleicht körperlich schwächer sein,
aber er gab niemals auf, sondern kämpfte nicht nur mit den Muskeln, sondern mit
seinem zielgerichteten Bewußtsein.
    In einem Punkt war ihm Traumbringer jedoch
immer überlegen. Das waren seine Visionen. Wie die anderen jugendlichen Abenaki
hatte auch Tyl mit Fasten und Entbehrungen seine geistige Reise angetreten.
Dieser Weg in der Einsamkeit nach innen führte ihn bis zu einer in seinem Leben
einmaligen Klarheit und dann zu einer Vision, die der Schamane ihm als
Donnergeist entschlüsselte und offenbarte. So durfte er sich »Bedagi« nennen,
ein Sohn des Donners. Aber das war seine einzige Begegnung mit der geistigen
Welt gewesen. Traumbringer dagegen hatte schon als kleiner Junge wiederholt
Visionen. Bei den Abenaki galten Visionen als etwas Wunderbares und Mächtiges,
und man brachte Traumbringer sehr viel Ehrfurcht und Achtung entgegen, weil er
damit gesegnet war.
    Tyl war ein Yengi, und er mochte noch so viele Wettrennen
oder Wettbewerbe im Bogenschießen gewinnen, seine Haut blieb immer weiß. Tyl
hatte oft gedacht, der Stamm würde ihn bereitwilliger akzeptieren, wenn die
Visionen auch über ihn kämen. Der ungehinderte Zutritt zu den geistigen Welten
könnte ihn, so glaubte er, zu einem richtigen Abenaki machen. Doch in diesem
Fall versagten seine Ausdauer und sein Verstand. So sehr er sich auch darum mit
Fasten und Übungen, Mutproben und Opfern bemühte, es stellten sich bei ihm nie
Visionen ein. Deshalb war Tyl noch mehr auf die hellsichtigen Träume seines
Stiefbruders neidisch gewesen.
    Der unterschwellige Haß der beiden ging jedoch über die kindliche
Rivalität hinaus und hatte noch andere Gründe. Assacumbuit war mit Traumbringers Mutter verheiratet gewesen,
als er die Yengi- Sklaven aus Quebec mit nach Hause
gebracht hatte. Es dauerte nicht lange, und Assacumbuit wurde in seiner
maßlosen Liebe zu einem Sklaven der
zierlichen weißen Frau mit den silberblonden langen Haaren und blauen
Augen, er wurde zum Sklaven seiner Leidenschaft. Er verstieß seine erste Frau
und machte Tyls Mutter zu seiner einzigen
Frau. Der Traumbringer konnte die Schande dieser Zurücksetzung nie
verwinden. Er litt unter der Angst, auch für ihn sei wie für seine Mutter in Assacumbuits
Herzen kein Platz mehr. Traumbringer
zweifelte nicht daran, daß der Yengi -Junge der Lieblingssohn des Großen Sachem geworden war. Die angebetete Frau starb, aber ihr Sohn lebte; und so lange
er am Leben war, brannten die Schande und die Angst in Traumbringers Herzen.
    Das alles wußte Tyl. Traumbringer würde nicht nur um das Recht auf
eine Frau kämpfen, sondern aus sehr viel persönlicheren Gründen. Mit einem Sieg über den verhaßten Yengi wollte
er seine verstoßene Mutter rächen und sein Volk, das er durch die Liebe
des Großen Sachem an die Weißen verraten glaubte. Das bedeutete, er würde
keine Gnade kennen. Es führte aber auch dazu, daß sein Stolz verletzlich war.
Vielleicht konnte Tyl Traumbringer so reizen, bis er wirklich von seinen
Gefühlen übermannt wurde. Assacumbuit hatte
Tyl einmal eine wertvolle, wenn auch schmerzliche Lektion darin erteilt, daß
verletzte Gefühle einen Mann tollkühn machen und ihn dazu treiben konnte, einen
Fehler zu begehen ... einen tödlichen Fehler.
    In diesem Augenblick wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen, und
der alte Schamane kam herein. Er brachte den Schild und die Waffe, die Tyl beim
bevorstehenden Kampf tragen würde.
    Bei der Waffe handelte es sich um ein

Weitere Kostenlose Bücher