Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
Vom Netzwerk:
Schluß sahen sie, was der Grund für den Lärm und den
Gestank war: Eine große Lichtung neben einem silbern schimmernden See, an
dessen Ufer dunkelblaue Tannen wuchsen.
    Auf der Lichtung befand sich im Schutz eines
Walls aus hoch aufgetürmten Baumstämmen ein Dorf aus Holzhäusern und Wigwams.
Um das Dorf lagen Maisfelder. Die trockenen Stauden raschelten im Wind. Vor dem
Wall lagen als natürlicher Dünger für die Felder haufenweise Fische und
erfüllten die Luft mit ihrem unerträglichen Gestank. In der Abenddämmerung
stieg von vielen kleinen Feuern dünner Rauch auf. In dem Indianerdorf herrschte
ein ohrenbetäubender Lärm.
    Das Kanu glitt geräuschlos an den schmalen steinigen Uferstreifen.
Traumbringer befahl Delia, das Boot zu verlassen. Sie stand schwankend mit
steifen und schmerzenden Beinen am Ufer und half, ohne auf die finsteren Blicke
der Indianer zu achten, Elizabeth beim Aussteigen. Ihre Arme zitterten, und
ihre Lippen waren blau vor Angst. Delia wollte sie trösten, aber sie brachte
kein Wort hervor, denn sie wußte, was ihnen bevorstand.
    Der Spießrutenlauf.
    Die Tore des Walls standen offen. Direkt
hinter dem Eingang erwarteten in Zweierreihen bis zu einer niedrigen Plattform
in der Mitte des Dorfs Männer, Frauen und Kinder die Gefangenen. Sie hielten
Stöcke, Keulen und Dornenzweige in den Händen und sangen laut und eintönig:
»Ai, ai, ai, ai, ai ...«, zum Klang der monotonen Trommeln.
    Traumbringer blieb so unvermittelt stehen, daß
Delia, die mit einem kurzen Riemen an ihn gebunden war, beinahe gegen ihn
gestoßen wäre. Ein Priester in schwarzer Soutane trat mit einem rauchendes
Weihrauchfaß in den Händen durch das Tor. Traumbringer blieb stehen. Zu Delias
Verblüffung kniete der Krieger nieder und neigte den Kopf, um sich von dem
Priester segnen zu lassen.
    Dann musterte der Priester mit blauen, fanatischen Augen die
Gefangenen. Er war hager, und seine bleiche Haut hing schlaff und faltig über
den kantigen Knochen. Die schmalen Lippen unter der gekrümmten Hakennase
wirkten wie waagrechte Schnitte in seinem Gesicht.
    Traumbringer riß so heftig an dem Riemen, daß
Delia sich an seinen Arm klammern mußte, um nicht zu fallen. Seine Muskeln
waren stahlhart und die Haut ölig glatt. Er stieß sie ebenso heftig zurück.
    Vor Erschöpfung und Hunger konnte sie sich kaum noch auf den
Beinen halten. Seit vier Tagen hatten sie nichts gegessen. Sie hatte schon oft
im Leben gehungert, aber solchen Hunger wie jetzt hatte sie noch nie gehabt.
    Traumbringer gab ihr in seiner Sprache einen Befehl. Sie sah ihn
so furchtlos wie möglich an und zuckte mit den Schultern.
    »Ausziehen!« rief er schließlich auf englisch.
    Delia sah die lange Reihe der Abenaki, die nur
darauf warteten, sie mit ihren Stöcken und Keulen zu schlagen. Das Geschrei,
das Trillern und Johlen nahm an Lautstärke zu. Einige Frauen und Mädchen hatten
Muschelketten um die Fußknöchel und Knie. Sie stampften zum Rhythmus der
Trommeln. Ein paar Jungen spielten auf Schilfflöten, andere ließen lange
Muschelketten über den Köpfen kreisen, was einen gespenstischen durchdringen
Ton hervorrief.
    Dann sah Delia die Pfähle mit den Skalps hinter der Plattform –
das Ziel des Spießrutenlaufs. An den Pfählen schaukelten auf bunten Reifen
unzählige getrocknete Skalps im kühlen Abendwind.
    In Boston hatte Delia die Schauergeschichten
von Gefangenen gehört, die splitternackt Spießruten laufen mußten. Es hieß
immer, daß Frauen im allgemeinen diese Folter erspart blieb. Manchmal jedoch
...
    Traumbringer trat dicht vor sie hin und fauchte sie an: »Ausziehen,
Lusifee! Ausziehen!«
    Eine knöcherne, blaugeäderte Hand legte sich auf Delias Arm. »Ich
rate dir, ihm zu gehorchen«, sagte der französische Priester in gebrochenem
Englisch. »Sonst reißt er dir die Kleider vom Leib ...«
    Gott schütze mich, dachte Delia und schnürte
mit zitternden Fingern das Mieder auf. Der Rock war zerfetzt
und hing schon seit zwei Tagen nur noch wie ein schmutziger Lumpen an ihr, aber
sie hätte nie gedacht, daß die Kleider einer Frau ein solcher Schutz sein
konnten. Als sie nackt vor Traumbringers kalten Augen stand und hinter ihm die
Abenaki lärmend nach ihrem Opfer schrien, kam sie sich hilflos und schwach vor.
    »Du da!« rief Traumbringer und deutete auf Elizabeth. »Ausziehen!«
    Elizabeth war vor Angst erstarrt und bewegte sich nicht. Der
Traumbringer zückte das Messer und ging auf sie zu.
    »Nein!« rief Delia und umklammerte seinen

Weitere Kostenlose Bücher