Penelope Williamson
nicht dein Vater.«
Tyl ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn diese Worte verletzten.
Er schwankte und kämpfte mit der bleiernen Last, die auf ihm zu liegen schien.
»Du hast mich zu den Yengi zurückgeschickt, und als
gehorsamer Sohn habe ich mich gefügt. Aber davor habe ich dich zehn Jahre lang
Vater genannt. Die Vergangenheit läßt sich nicht ändern.«
Der Sachem reagierte mit dem für ihn
inzwischen typischen Schulterzucken. Assacumbuit war einige Jahre zuvor nach
Frankreich gereist und Gast am Hof des Sonnenkönigs gewesen. König Ludwig
hatte ihn zum Ritter geschlagen und ihm ein Schwert geschenkt. Der Häuptling
hatte außer dem Schwert auch ein paar französische Gewohnheiten zurückgebracht,
unter anderem das Schulterzucken.
»Die Vergangenheit ist vorbei«, sagte er.
Tyl legte die Hand auf den schmerzenden Kopf und erwiderte leise:
»Das Leben findet zum großen Teil in der Vergangenheit statt.«
Assamcumbuit lachte leise. »Ich weiß, das ist die Schwäche der Yengi. Sie können nicht in der Gegenwart sein.«
»Dazu hast du mich verurteilt.« Tyls Worte
klangen vorwurfsvoll.
»Setz dich, und rauche die Pfeife mit mir«, befahl Assacumbuit.
»Und hör auf, wie eine Frau zu schmollen, weil du die Dinge nicht wieder so
machen kannst, wie sie ohnehin nie waren.«
Tyl wurde rot, aber dann lachte er. Der alte Fuchs hatte ihn in
den zehn Jahren nie geschlagen, aber er konnte Worte wie eine Peitsche
benutzen, und Tyl hatte das oft genug zu spüren bekommen.
Während er Platz nahm, bereitete Assacumbuit
drei Pfeifen vor. Es waren die Friedenspfeifen. Ihr Kopf war jeweils aus dem
kostbaren roten Tonstein geschnitten, der aus dem Gebiet der Ojibway, von den
Großen Seen, kam. Der Stiel bestand aus einem kunstvoll verzierten Schilfrohr
und war mit unterschiedlichen Federn weißen, blauen und roten – geschmückt,
die nach dem uralten Wissen der Indianer eine besondere magische Wirkung
hatten.
Assacumbuit rauchte zuerst. Als Ehrenbezeugung an den Gitche-Manitu blies er eine Rauchwolke nach oben in die Luft. Danach reichte er Tyl die
Pfeife, der das Ritual wiederholte und sie zurückgab. Weitere Rauchwolken
wurden der Erde, der Sonne, dem Wasser und schließlich den vier
Himmelsrichtungen geweiht.
Sie rauchten Kinnikinnik, eine Mischung aus Tabak und
anderen Pflanzen, um die hellseherischen Fähigkeiten zu verstärken. Der Rauch
machte Tyl sonderbar leicht, und er fühlte sich benommen.
Wenn ich zuviel davon rauche, dachte er, als er die zweite Pfeife
aus Assacumbuits Hand entgegennahm, werde ich nach oben aus dem Rauchloch
schweben und hinaus in die Unendlichkeit der Nacht fliegen ...
Aber auch diese Pfeife würden sie zu Ende
rauchen, und erst dann würde Assamcumbuit mit Tyl sprechen. Das Gespräch war
ihm sehr wichtig, und deshalb wollte er sich nicht der alles vergessenden
Wirkung des Rauchs überlassen. Er brauchte in diesem Augenblick
mehr als je zuvor seinen klaren Verstand. Tyl wartete ungeduldig, denn der
Große Sachem mußte zuerst das Wort an ihn richten.
»Du hast heute abend gut gekämpft«, sagte
Assacumbuit schließlich.
Tyl errötete über das Lob seines Vaters, denn er ging damit sehr
sparsam um. »Ich hatte einen guten Lehrer.«
Der Häuptling schnaubte leise. »Der Tritt in die Kniekehlen ...
den habe ich dir nicht beigebracht.«
»Auch an den Universitäten der Yengi lernt man kämpfen«,
sagte Tyl, und der alte Krieger lächelte.
»Du hast dich allerdings geirrt.« Der Häuptling gab ihm die dritte
Pfeife.
Tyl nahm einen langen Zug und hielt den Rauch kurz in den Lungen.
Etwas in seinem Kopf schien zur Ruhe zu kommen. Er sah sich distanziert und
nüchtern. Sein Körper war unwichtig, und Gefühle schien er nicht mehr zu
kennen.
»Ach ...?«
Assacumbuit wies mit einem Nicken in eine Ecke
der Hütte. Seine Augen glänzten belustigt. »Ich habe dir nicht meinen Schild
geschickt. Er gehörte einem anderen. Genauer gesagt einem erbärmlichen
Feigling, der sehr jung im Kampf getötet wurde.«
Tyl lachte leise. Eine seltsame wohltuende Erleichterung erfaßte
ihn. Er war irgendwie froh, daß Assacumbuit ihn nicht seinem eigenen Sohn
vorgezogen hatte.
Das also kann der Verstand, dachte er, einem
Schild magische Kräfte zuschreiben, die er nicht besitzt. Wir Weißen siegen mit
der Kraft der Überzeugung und verbünden uns dabei mit den Gefühlen. Vor dem Tod
schrecken wir zurück, weil wir feige und unehrlich in all unserem Tun sind. Ich
habe Traumbringer getäuscht und
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