Penelope Williamson
Yengi bleiben würdest.«
In Tyls Lächeln lag ein Anflug von
Bitterkeit. »Mein Yengi- Großvater wirft mir vor, ich sei im Herzen ein
Abenaki. Was bin ich wirklich? Heißt das, ich habe zwei Herzen oder keines? Was
bin ich?« sagte er bitter und wiederholte unbewußt die verzweifelte Frage, die
er seinem Großvater vor fünf Monaten entgegengeschleudert hatte.
Assacumbuit zuckte nur die Schultern. »Du spielst ein Spiel in
deinem Kopf. Du weißt genau, was du bist.«
»Ich bin Arzt. Und bald werde ich Delias Ehemann sein«, sagte Tyl,
ohne zu merken, daß er laut gesprochen hatte. Es überraschte ihn, welcher
Frieden ihm diese schlichte Feststellung schenkte.
»Du bist ein Yengi -Schamane?« rief Assacumbuit so erstaunt,
daß Tyl lachte. Der alte Häuptling dachte schweigend darüber nach. Dann legte
er schulterzuckend die Pfeife beiseite. »Geh! Deine Frau erwartet dich.«
Damit war Tyl entlassen, und er stand auf.
Aber er zögerte. »Du hast das große Meer überquert, und du hast alles gesehen«,
sagte er. »Die Yengi sind tatsächlich so zahlreich wie die Sandkörner am
Strand. Sag das deinem Sohn. Die Abenaki müssen versuchen, mit den Yengi in
Frieden zu leben, denn sie können nicht hoffen, sie zu besiegen.«
»Sie?«
»Uns«, murmelte Tyl widerstrebend. »Ihr könnt
uns nicht besiegen.«
Der Große Sachem schüttelte langsam und traurig den Kopf.
»Mein Sohn, uns bleibt keine andere Wahl, als es zu versuchen. Ich würde eher
sterben, als zuzulassen, daß sich mein Volk ergibt.«
Delia wartete.
Die Frauen hatten sie in einem Wigwam allein gelassen. Sie erinnerte
sich an das kleine Zelt neben Tyls Blockhütte und untersuchte die indianische
Behausung neugierig. Der Wigwam hatte einen Rahmen aus jungen Baumstämmen, die
oben zusammengebunden waren. Darüber lagen in
mehreren Schichten lange Streifen Birkenrinde und zusammengenähte Häute. In
der Mitte des runden Raums befand sich die einfache Feuerstelle – eine mit
Steinen ausgekleidete Grube. Der Rauch zog durch eine Öffnung am höchsten
Punkt des Wigwams ins Freie. Auf dem Lehmboden lagen geflochtene Grasmatten.
Außer einem Lager aus den Zweigen von Balsamtannen, das mit Elch- und
Bärenfellen gepolstert war, gab es keine Einrichtung.
Delia war von einer Gruppe etwa gleichaltriger
Abenaki-Frauen hierhergebracht worden. Sie hatten sie ausgezogen und in ein langes
Gewand aus weichem Rentierleder gekleidet. Es war mit Stachelschweinborsten
besetzt und mit bunter Elchwolle und englischen Glasperlen bestickt. Dann
legten ihr die Frauen einen Gürtel aus Muschelperlen um, dessen Quasten aus
Muscheln und Perlen rasselten, wenn sie sich bewegte. Delia fühlte sich inzwischen
eher wie eine von ihren Zofen umschwärmte Königin und weniger wie eine
Gefangene der Abenaki.
Die Jüngste, ein etwa vierzehnjähriges
Mädchen, brachte mit großer Ehrerbietung einen Umhang und legte ihn Delia um
die Schultern. Er bestand aus einem Pumafell und war sehr schwer. Dann wurden
ihr die Haare gebürstet, bis sie glänzten und die schwarzen Locken weich über
den Umhang fielen. Zuletzt setzte man ihr wie ein weißes Krönchen einen
Kopfschmuck aus weichen Schwanenfedern auf.
Die Frauen kicherten, warfen ihr verstohlene
Blicke zu und berührten sie ehrerbietig. Delia konnte kaum glauben, daß diese
freundlichen netten Indianerinnen vor noch nicht langer Zeit ihren Tod
beschlossen hatten und sie am Marterpfahl foltern lassen wollten.
Die Abenaki haben zwei grundverschiedene
Gesichter. Einmal sind sie grausam und hart, dann wieder sind sie fröhlich und
liebenswürdig. Kein Wunder, dachte sie, daß es mir oft so vorkommt, als würde
ich in Tyl zwei verschiedene Männer sehen.
Nach dem Ankleiden gab eine Frau Delia durch Zeichen und in
gebrochenem Englisch zu verstehen, sie sollte ihnen bei der Zubereitung eines Mahls behilflich sein. Eine andere
Frau brachte einen riesigen Lachs mit zartem rosa Fleisch, der zum Braten auf
die heißen Steine gelegt wurde. In der Glut rösteten sie ungeschälte
Maiskolben, in einem Holzgefäß kochte ein Eintopf aus Bohnen, Kürbis und
Erdhörnchenfleisch und über die Glut hängten sie einen Eisentopf mit Wasser, in
den sie Hemlocksprossen warfen. Schließlich kam noch eine Frau mit einer geschmorten
Elchkeule.
Die leckeren Gerüche erinnerten Delia an ihren leeren Magen. Doch
als sie höflich fragte, ob sie etwas von dem Fisch versuchen dürfe, erklärten
ihr die Frauen unter Erröten und Kichern, sie müsse zuerst ihren Mann
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