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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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weil sie nicht manierlich genug den
Stockfisch aß. Er hatte sogar gesagt, sie habe Manieren wie ein Schwein! Bei
der Erinnerung daran, wurde sie noch einmal über und über rot. Ich weiß, daß
du keine Dame bist, hatte er gesagt. Bei Gott, sie würde ihm beweisen, daß
er sich irrte ...
    Delia blickte verstohlen auf sein abgewandtes
Gesicht. Am Abend zuvor war sie von seinem guten Aussehen beeindruckt gewesen.
Jetzt bei Tageslicht fand sie, daß er bei weitem der am besten aussehende Mann
war, den sie kannte. Er kleidete sich nicht wie ein Arzt. Er trug weder die
charakteristische Löckchenperücke noch einen schwarzen Anzug oder einen Stock
mit einem Goldknauf, wie es die meisten Männer seines Standes taten. An diesem
Morgen hatte er einen seidenen Rock und eine gelblichbraune
Mohairhose an, deren Schnallen an den Knien offenbar aus echtem Silber waren.
Der lange Rock war dunkelblau, und er hatte eine hohe Spitzenhalsbinde
umgebunden, deren Enden in ordentlichen Falten über das Leinenhemd fielen. Die
weiße Halsbinde betonte die Sonnenbräune seines scharf geschnittenen Gesichts.
    Er ist ein Mann der Gegensätze und
Widersprüche, dachte Delia. In einem Augenblick ist er vornehm und gebildet,
und im nächsten ist er so unberechenbar wie mein Vater. Der hochmütige Zug um
den Mund paßt überhaupt nicht zu den Lachfältchen um seine Augen. Er spielt den
galanten Verführer, aber dann ist er wieder so besorgt und sanft wie zu der
Frau beim Abschied an der Tür. Er hat sie wirklich mit großem Respekt behandelt
...
    Traurig mußte sich Delia eingestehen, daß er
niemals so respektvoll und zartfühlend zu ihr sein würde. Aber genau danach
sehnte sie sich.
    Als die Kutsche am Rathaus vorbei und in
Richtung Queen Street fuhr, hielt der Kutscher die Pferde plötzlich an. Delia
wäre beinahe vom Sitz gefallen. Instinktiv klammerte sie sich an seinem Arm
fest. Unter dem dünnen Stoff spürte sie seine warme Haut und die starken
Muskeln. Sie ließ die Hand länger als notwendig auf seinem Arm liegen, bis er
zuerst mit gerunzelten Brauen auf ihre Hand und dann auf sie blickte. Errötend
zog, sie die Hand zurück und ballte sie im Schoß unbewußt zur Faust.
    Erst jetzt drangen Delia das Geschrei und der
Tumult auf der Straße ins Bewußtsein. Sie beugte sich aus der Kutsche, um zu
sehen, was der Grund für den Aufruhr war. Man hatte eine Frau mit nacktem
Oberkörper hinten an einem Ochsenkarren festgebunden. Sie wurde so lange
ausgepeitscht, bis der Karren einmal um den Rathausplatz gefahren war.
    Der Mann mit der Peitsche schlug nicht fest
zu, aber trotzdem war der Rücken der Frau bereits mit roten Striemen überzogen.
Man hatte ihr außerdem auf der Schulter ein großes »E« eingebrannt.
Beim Anblick des Brandzeichens mußte Delia an die Frau denken, die mit Tyl
gestern im Schlafzimmer gewesen war.
    »Eine Ehebrecherin bekommt das, was sie verdient ...«,
murmelte sie laut genug, daß der Mann neben ihr es hörte. »Sie ist mit einem
Mann im Bett erwischt worden, der nicht ihr Ehemann war.«
    Tyl blickte bewußt nicht auf die grausame Szene. Nach einer Weile
sah er jedoch Delia an. »Ich weiß, was du denkst, aber du irrst dich. Die
besagte Frau ...«
    »Priscilla«, warf Delia ein, um keine Zweifel
aufkommen zu lassen.
    »Priscilla«, wiederholte Tyl finster, »ist Witwe. Sie ist eine liebenswürdige,
anständige und ehrliche Frau und einer der besten Menschen, die ich kenne.
Warum sollte sie sich nicht hin und wieder mit einem Liebhaber treffen, wenn
sie das will?«
    Delia schnaubte. »Viele gottesfürchtige Leute in Boston wären da
ganz anderer Meinung. Außerdem finde ich, daß Sie die Frau heiraten sollten,
Doktor Savitch, wenn Sie ... wenn Sie das mit ihr tun, was Sie getan haben ...«
    »Wenn ich Priscilla einen Heiratsantrag machen
würde, bekäme ich von ihr eine Absage, denn sie schätzt die Freiheit ebenso wie
ich.« Er sah Delia wütend an. »Mein Gott, warum rechtfertige ich mich
eigentlich vor jemandem wie dir? Das geht dich überhaupt nichts an!«
    Delia schwieg, obwohl ihn seine Worte noch unglaubwürdiger
machten. Priscilla war eine Dame. Sie war reich und angesehen. Deshalb konnte
ihr die gesellschaftliche Moral nichts anhaben, ganz gleich, was sie tat. Aber
ein armes Mädchen wie Delia konnte nicht in einer Kneipe arbeiten, ohne als
Hure zu gelten.
    Tyl drehte den Kopf nach der anderen Seite, aber einen Augenblick
später blickte er sie wieder wütend an. »Noch etwas. Wenn diese Frau«, und

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