Penelope Williamson
schritt auf seinen dünnen Beinen mit wehendem Gewand
quer durch den Raum. Am Kamin drehte er sich um und verschränkte die Hände im
Rücken. Er richtete sich herrisch auf und plötzlich entdeckte er Delia. »Du
liebe Zeit. Wer ist das?«
»Ich nehme sie mit nach Merrymeeting«, antwortete Tyl und lächelte
zufrieden, während er mit der zögernden Delia an der Hand weiter in den Raum
trat.
»Das wirst du verdammt noch mal nicht tun!« rief der alte Mann
außer sich vor Wut.
Delia machte sich von Tyl los, schlug sittsam
die Augen nieder und machte unbeholfen einen Knicks. »Guten Tag, Eure Lordschaft.«
»Wie? Oh ... ist mir ein Vergnügen, Fräulein ... ein Vergnügen.«
Sir Patrick musterte Delia, und seine Augenbrauen verschwanden unter der
Perücke, als er Delias abgerissene Kleider und die nackten Füße sah. Er holte
tief Luft und sagte dann: »Sie ist hübsch, Tyl. Sie ist wirklich hübsch.«
Delia richtete sich auf und warf Tyl einen triumphierenden Blick
zu. Er runzelte die Stirn.
Mit einer ungeduldigen Bewegung der
blaugeäderten knöchernen Hand bedeutete er Delia, in einem Brokatsessel Platz
zu nehmen. »Setzen Sie sich, Fräulein. Wo bleiben deinen Manieren, Tyl? Auf
dem Tisch steht noch etwas warmes Bier. Schenk dem armen Mädchen etwas ein.
Siehst du nicht, daß sie in der morgendlichen Kälte zittert?«
Tyls Zornesfalte erschien auf der Stirn, aber
er ging stumm durch den Raum zu einem Teetisch und füllte
einen Becher mit Bier. Als Tyl dem alten Mann den Rücken zukehrte, zwinkerte
der Delia zu, und sie mußte sich auf die Lippen beißen, um nicht zu kichern.
Wenn Tyl beabsichtigt hatte, seinen Großvater durch ihre Anwesenheit aus der
Fassung zu bringen, dann war ihm das mißlungen.
»Er tut alles mögliche, um mich zu reizen«,
meinte Tyls Großvater, als hätte er Delias Gedanken erraten. »Ich weiß das
sehr wohl. Ich habe ihn nach Edinburgh auf die Universität geschickt, um Jura
zu studieren, und er ist als Arzt zurückgekommen, nur um mich zu ärgern.«
Tyl lachte. »Sir Patrick, Sie schmeicheln sich, wenn Sie glauben,
daß sich in meinem Leben alles darum dreht, Sie zu ärgern.«
»Aus welchem Grund bist du heute hier, wenn nicht, um mich zu
ärgern?«
Tyl drehte sich um und verneigte sich spöttisch vor ihm. »Sie
haben mich herbefohlen, Sir.«
»Hm? Und weshalb hast du dir überhaupt die Mühe gemacht, nach
Boston zu kommen, wenn du nur eine Woche bleiben willst ... außer, um mich zu
ärgern und die Nase über alles zu rümpfen, was ich für dich zu tun versuche?«
Tyl reichte Delia den Becher.
»Vielen Dank, Dr. Savitch«, flötete sie.
Er senkte die Stimme und fragte leise: »Wieso redest du auf einmal
so geschwollen?«
Delia lächelte bescheiden und trank höchst damenhaft einen kleinen
Schluck Bier. Sie würde Tyler Savitch beweisen, daß sie sich wie eine Dame
benehmen konnte.
»Ich bin nach Boston gekommen, um eine tugendsame Frau zu finden«,
erwiderte Tyl und sah Delia herausfordernd an.
Sir Patricks Augenbrauen hoben sich wieder, und seine grauen Augen
durchbohrten Delia, die glühend rot wurde. Aber der alte Mann unterließ es,
eine Bemerkung zu machen.
»Außerdem bin ich hier, um für die Siedlung einen Geistlichen
anzuwerben. Darüber hinaus habe ich von dem neuen Impfstoff gegen Pocken
gehört«, fuhr Tyl höflich fort. »Ich wollte mich persönlich von den
Ergebnissen von Cotton Mathers Experimenten überzeugen.«
Sir Patrick schnaubte. »Ich halte nichts von diesen Impfungen. Wir
dürfen Gott nicht ins Handwerk pfuschen. Wenn Gott will, daß jemand die Pocken
bekommt, dann weiß ER, was ER will.«
»Sie würden anders reden, Sir, wenn Sie die
Pocken hätten. Die Epidemie ist noch nicht bis nach Maine vorgedrungen. Ich
hoffe, alle in Merrymeeting und in den anderen Siedlungen davon zu überzeugen,
daß ...«
»Merrymeeting!« Der alte Mann stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
»Schon der Name klingt wie ein Witz. Darf ich dich an etwas erinnern? Du hast
in Edinburgh nicht nur dieses nutzlose Examen gemacht, du hast auch Geschmack
an teuren Dingen gefunden und an teuren Frauen. Ich kann nicht glauben, daß du
in den erbärmlichen Blockhäusern in der Wildnis frieren willst, wo dich
niemand wärmen kann, außer einer Squaw ...«, Sir Patrick brach mitten im Satz
ab, als sein Blick auf Delia fiel. Sie lächelte ihn bezaubernd an, und er
blinzelte.
Tyl bemerkte es nicht. Er setzte sich Delia gegenüber, kreuzte die
Beine, wippte aber unruhig mit einem
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