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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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lachte. »Ach, du mit deiner Bildung und deinem kultivierten
Geschmack ...«
    Er lachte und reichte ihr die Hand. »Ich weiß, ich weiß, aber so
bin ich nun einmal. Komm mit, ich will dir etwas zeigen.«
    Sie betrachtete seine Hand so mißtrauisch, daß er am liebsten laut
gelacht hätte. Aber es machte ihn auch traurig, daß sie ihm nicht vertraute.
    Schließlich lächelte sie und ergriff seine
Hand.
    Sie gingen am Kai entlang und dann zum Flußufer. Um mit ihm
Schritt zu halten, mußte sie beinahe rennen, aber er verlangsamte sein Tempo
nicht. »Wohin gehen wir?« fragte sie nach einer Weile außer Atem.
    »Über den Fluß.«
    »Warum nehmen wir dann nicht die Fähre?«
    Tyl gab keine Antwort. Er lief mit ihr am Ufer entlang, bis sie
ein kleines Kanu aus Birkenrinde fanden. Er schob es ins Wasser, faßte sie um
die Hüfte und setzte sie in das Kanu.
    Delia sah sich ängstlich um. »Sag mal, Tyl, wir stehlen das Kanu
doch nicht? Ich habe keine Lust, heute nacht im Gefängnis von Portsmouth zu
schlafen.«
    »Wir leihen es uns nur für etwa eine Stunde aus.« Als er im Kanu
saß, beugte er sich vor und umfaßte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Delia, ich
fahre über den Fluß und möchte, daß du mich begleitest. Das ist alles. Es gibt
keine anderen Gründe. Ich will einfach, daß du bei mir bist.«
    Seine Worte überraschten ihn, denn erst, nachdem er sie ausgesprochen
hatte, wurde ihm bewußt, wie sehr er sich danach sehnte, mit ihr
zusammenzusein. Vielleicht wollte er einfach nur ihre Gesellschaft. Er fühlte
sich in letzter Zeit oft einsam und mußte stundenlang gegen eine unerklärliche
Unruhe ankämpfen. Delia gelang es irgendwie, ihn auch an trübsinnigen Tagen zum
Lachen zu bringen.
    Auch Delia staunte über seine Worte. Sie erhob sich halb von ihrem
Platz, und einen Augenblick glaubte er, sie würde aus dem Kanu klettern, aber
dann setzte sie sich wieder, ließ den Kopf sinken und vermied es, ihm in die
Augen zu blicken.
    Er paddelte in der Art der Abenaki mit ausgestreckten Unterarmen
und benutzte den Oberkörper, um das kleine Gefährt rhythmisch
vorwärtszustoßen. Wenn er das Paddel nach einem Schlag aus dem Wasser hob,
machte es nur ein leises, kaum hörbares Geräusch. Er genoß die körperliche
Anstrengung und das Spiel der Muskeln sichtlich. Gleichzeitig war er jedoch
innerlich angespannt wie eine Saite, die jederzeit reißen konnte.
    Eine leichte Brise trieb ihnen den Geruch von Harz und Zedernholz
zu. Die Wolken rissen auf, und die Nachmittagssonne färbte das Wasser
goldbraun. Die hohen grünen Bäume am Ufer spiegelten sich in den Wellen. Das
grüngeäderte Gold ... ja, dachte er staunend, ja, das sind die Farben ihrer
Augen.
    Als hätte sie seine Gedanken erraten, hob Delia den Kopf und sah
ihn an. Sie lächelte.
    Er fuhr nicht direkt nach Kittery, sondern etwas weiter flußaufwärts.
Sie kamen um eine Flußbiegung und überraschten eine Hirschkuh am Ufer einer
kleinen Bucht. Das Tier hob mit einem Ruck den Kopf und sah sie mit sanften
Augen an; dann verschwand es mit großen Sprüngen im Unterholz.
    Tyl steuerte das Kanu an die Stelle, wo die Hirschkuh gewesen war.
Fichten und Balsamtannen wuchsen bis dicht an das Wasser und ließen nur einen
schmalen Uferstreifen frei. Die regennassen Zweige streiften ihre Köpfe, als
sie an Land gingen.
    Tyl lief den Strand der kleinen Bucht entlang. Er trat heftig
gegen einen morschen Ast, der halb im Wasser lag. Dadurch erschreckte er einen
kleiner Uferläufer, der zwischen den Kieseln Futter gesucht hatte, und der
Vogel flog davon.
    Delia sah ihm nachdenklich zu. »Es ist schön hier«, sagte sie, als
das Schweigen zu lange andauerte.
    »Hier wurde
mein Vater umgebracht.«
    »Tyl ...
das tut mir leid.«
    Er hatte ihr den Rücken zugewandt und blickte
über den Fluß. Sie trat neben ihn. Er fror, aber als sie seine Hand ergriff,
wurde ihm augenblicklich wieder warm. Er fühlte sich plötzich weniger einsam.
    »Von den
Indianern?« fragte sie leise.
    »Es waren
Pequawkets unter dem Kommando von Franzosen.«
    Man nannte es damals Königin Annes Krieg: England kämpfte gegen
Frankreich. Der Krieg und seine Hintergründe waren für einen Sechsjährigen, der
in einem kleinen Holzhaus in Maine am Rand der Wildnis lebte, bedeutungslos.
Tyl wußte bis heute nicht genau, weshalb dieser Krieg überhaupt geführt worden
war.
    »Im Herbst war allgemein die Rede davon gewesen, daß die Indianer
angreifen würden«, erzählte er. »Die Franzosen hatten sie mit dem

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