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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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für neue Häuser, Dachschindeln und
die langen hellen Kiefernmasten für die königlichen Schiffe.
    Im Hafen ankerten zahllose Schaluppen und
Pinassen, und an den Ufern des Flusses schaukelten kleine
Ruderboote und Kanus. Die kleinen Häuser der Stadt drängten sich um die
ungepflasterten Straßen. Sie standen auf Pfählen und hatten spitze
Giebeldächer, schmale, hohe Schornsteine und kleine bleigefaßte Fenster.
Überall herrschte geschäftiges Treiben. Das Hämmern und Sägen, das Quieken und
Grunzen der Schweine, die im Abfall am Hafen wühlten, verursachten von morgens
bis abends einen ohrenbetäubenden Lärm.
    Auf der anderen Seite der breiten
Flußmündung, schon auf dem Gebiet von Maine, lag auf gleicher Höhe mit den
Hafenanlagen von Portsmouth die kleinere, aber weiter auseinandergezogene Stadt
Kittery. Der Ort wirkte insgesamt unzivilisierter und abweisender. Die
zweistöckigen Siedlerhäuser waren aus dicken, behauenen Stämmen gebaut. Wer in
Kittery durch eine Straße ging, mußte nicht das Gefühl haben, im nächsten
Augenblick mit jemanden zusammenzustoßen. In Kittery hatte Tyler Savitch die
ersten sechs Jahre seines Lebens verbracht.
    Er hatte kaum noch Erinnerungen an diese
Zeit. Die späteren Ereignisse überlagerten die wenigen Erlebnisse, die sich ihm
eingeprägt hatten. Aber an diesem Ort überkam ihn stets das Gefühl eines
großen Verlusts. Wenn er nach langer Abwesenheit wieder über den Piscataqua
blickte, die schmalen Landungsstege auf der anderen Flußseite sah, die
Blockhäuser, die Sägewerke und die wenigen Werften von Kittery, wurde er den
Eindruck nicht los, daß aus seinem Leben etwas anderes hätte werden können.
    »Tyl ...«
    Er zuckte zusammen und drehte sich gereizt um. »Was ist denn jetzt
schon wieder los?«
    Delia wich erschrocken zurück. »Es tut mir leid. Ich wollte nur
... es tut mir leid ...
    Sie wollte davonlaufen, aber er griff nach ihrem Arm. Sie richtete
sich abwehrend auf und reckte das Kinn. Er sah in ihren Augen, daß er sie mit
seiner unfreundlichen Frage verletzt hatte.
    »Ich habe es nicht so gemeint, Delia ...
Bitte, bleib bei mir.«
    Das war die Wahrheit. Er hatte eigentlich
allein sein wollen und die anderen bewußt in dem kleinen Gasthaus
zurückgelassen. Aber als er Delia plötzlich vor sich sah, wollte er sie
unbedingt bei sich haben.
    »Bitte bleib«, wiederholte er noch einmal leise und eindringlich.
»Ich wollte nur wissen, ob du Hunger hast.«
    »Ich habe keinen Hunger. Aber ich möchte, daß
du bei mir bleibst.«
    Er ließ sie los und stellte erleichtert fest, daß sie nicht
davonlief. Sie stand mit abgewandtem Kopf neben ihm und schloß fröstelnd den
alten zerschlissenen Umhang.
    Unter der blaugestreiften Haube verschwanden ihre Haare, und unter
der breiten Krempe auch ihr Gesicht. Er mochte das alberne Ding nicht. Er griff
nach den Bändern unter ihrem Kinn, löste die Schleife und sagte: »Nimm die
Haube ab, sie steht dir nicht.«
    »Aber Tyl,
es regnet.«
    Sie griff nach seinen Händen, aber er ließ
sich nicht davon abbringen und löste die Bänder. Sie hatte ihre Haare mit
Nadeln aufgesteckt. Er entfernte auch die Nadeln. Als die langen schwarzen
Locken über seine Finger fielen, drang plötzlich die Sonne durch die Wolken.
Die hellen Strahlen ließen die Haare verführerisch schimmern. Er mußte an sich
halten, um nicht auf der Stelle sein Gesicht darin zu vergraben. Ihre Haare
waren so seidig und fein. Sie waren auch etwas feucht. Vermutlich hatte Delia
sie gerade erst gewaschen. Ihr Drang, sich ständig zu waschen, mußte offenbar
etwas mit ihm zu tun haben. Der Gedanke gefiel ihm nicht. Sie sollte sich nicht
ändern, um ihm zu gefallen. Er wußte aus Erfahrung, wenn Frauen das taten,
stellten sie bald Forderungen an ihn. Sie wollten als Gegenleistung, daß er
sich ihnen zuliebe etwas ändern sollte.
    Er ließ die Locken langsam durch die Finger gleiten. »So ist es
besser«, murmelte er. »Außerdem hat es aufgehört zu regnen.«
    Er wollte die Haube auf den Boden fallen
lassen, aber Delia riß sie ihm aus der Hand. »Also Tyl, du bist wirklich
unmöglich! Ich gebe mir größte Mühe, eine Dame zu werden! Du weißt genau, daß
eine richtige Dame nicht mit offenen Haaren herumläuft ... Und du, verdammt
noch mal ...!«
    Zu seinem Vergnügen sah er, wie sie erschrocken die Hand auf den
Mund legte.
    »Mach dir nichts draus. Mir gefällst du
besser mit offenen Haaren, und allmählich gewöhne ich mich auch an dein loses
Mundwerk.«
    Sie

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