Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
Vom Netzwerk:
eine ihrer
Locken um seinen Finger und schob sie dann hinter ihr Ohr. »Nach einer Weile
spürte man die Schläge nicht mehr. Man war zu müde und fror. Alles wurde einem
gleichgültig, und einige blieben einfach liegen. Dann kamen sie mit dem
Tomahawk. In Kittery waren wir sechsundzwanzig Gefangene, alles Frauen und
Kinder. Aber nur zehn schafften es bis Quebec.«
    »Ich hätte sie gehaßt!« rief Delia schaudernd. »Ich hätte versucht,
alle umzubringen.«
    Tyl war dazu noch zu jung gewesen, aber vielleicht hielt der Haß
die anderen am Leben.
    »Was geschah dann?« fragte Delia. »Was haben sie mit euch gemacht,
als ihr in Quebec angekommen seid?«
    »Die Pequawkets gehören zum Volk der
Abenaki«, fuhr er fort. »Die Häuptlinge aller Abenaki-Stämme hatten sich in diesem Winter
in Quebec zu einem Powwow, einem Kriegsrat, versammelt. Einer der Häuptlinge
war Assacumbuit, der Große Sachem eines Abenaki-Stamms, die sich nach
ihrem befestigten Dorf 'Norridgewocks' nennen. Eines Abends feierten die Pequawkets
ihre Siege mit Singen und Tanzen und prahlten mit ihrer Beute. Sie führten den
anderen ihre Gefangenen vor. Assacumbuit sah meine Mutter und wollte sie für
sich haben. Er bot dem Pequawket-Krieger, dem wir gehörten, fünfzig Biberfelle
für uns beide. Das war ein königlicher Preis. Wir kamen deshalb nicht in ein
französisches Gefängnis, sondern kehrten mit Assacumbuit und den Norridgewocks
nach Maine zurück. Vielleicht denkst du, meine Mutter sei feige gewesen, aber
sie hat ihn nicht gehaßt.« Er ließ den Kopf sinken und fügte leise hinzu: »Aber
ich weiß nicht, ob sie ihn geliebt hat.«
    Delias Hand legte sich fest um sein Knie.
»Sie muß sehr mutig gewesen sein, um all das zu ertragen. Und sie muß stark
gewesen sein.«
    »Nein, sie war nicht stark genug. Sie starb, als sie Assacumbuits
Kind zur Welt brachte.«
    »Du hast ihn geliebt«, sagte Delia staunend. »Trotz allem, was die
Indianer deiner Mutter angetan haben, hast du deinen indianischen Vater
geliebt.«
    »Ja ...« Er nickte. »Ja, ich habe ihn
geliebt.«
    »Warum hast du ihn dann verlassen? Warum bist du in diese andere
Welt zurückgekommen?«
    »Er hat mich dazu gezwungen«, antwortete Tyl,
aber mehr wollte er nicht sagen. Sie spürte es, denn sie stellte keine
weiteren Fragen. Wieder schwiegen sie lange, und noch einmal stellte sich für
Tyl trotz der Erinnerungen das wundersame Gefühl des Friedens ein.
    Niemand, vor allem nicht sein Großvater, hatte verstanden, weshalb
er sich so sehr dagegen wehrte, in die Welt seiner Eltern zurückzukehren.
Niemand begriff, daß Tyl nach zehn Jahren ein Abenaki geworden war. Er wußte
kaum etwas von seinen ersten Kindheitsjahren und kannte auch nur noch wenige
Worte seiner Muttersprache. Bei den Abenaki
hatte er eine Familie, und Assacumbuit hatte ihn zu seinem Sohn gemacht. Er
hatte einen Stiefbruder, den sie Traumbringer nannten. Er war sowohl sein
Freund als auch sein Rivale. Mit ihm ging er auf die Jagd, und sie kämpften
miteinander. Als Tyl sechzehn wurde, schlossen die Abenaki mit den Engländern
Frieden. Zu den Bedingungen des Friedensvertrags gehörte die Auslieferung aller
Gefangenen. Deshalb hatte ihn Assamcumbuit in Wells den Engländern übergeben.
    Der Frieden damals dauerte nur sechs Wochen. Aber Tyls Großvater
kam aus Boston und holte ihn ab. Sir Patrick setzte alles daran, aus Tyl einen
Engländer zu machen. Zunächst prügelte er ihn mit dem Stock, wenn er die
Sprache der Abenaki sprach oder in seine indianische Lebensweise zurückfiel.
Bei den Norridgewocks war Tyl ein Sannup, ein geachteter Krieger,
gewesen. Bei seinem Großvater wurde er wie ein Sklave geschlagen oder wie ein
Diener behandelt.
    Er ertrug die Strafen in stoischem Schweigen,
denn bei den Abenaki hatte er gelernt, die Älteren zu achten. Aber er sagte
sich Tag für Tag, daß er sich nichts vorzuwerfen habe. Er durfte mit Stolz
daran festhalten, ein Abenaki und Assacumbuits Sohn zu sein. Trotzdem stellten
sich mit der Zeit Zweifel ein. Es dauerte nicht lange, und er fühlte sich weder
als Yengi noch als Abenaki. Er gehörte zu niemandem, und er liebte
niemanden. Die Jahre seiner Jugend vergingen in völliger Einsamkeit. Er war
verwirrt und wurde sehr, sehr bitter. Manchmal fragte er sich, ob er diese
Gefühle, besonders die Einsamkeit, jemals überwinden werde.
    Entschlossen richtete Tyl seine Gedanken wieder auf die Gegenwart.
Ohne es recht zu wissen, fuhr er mit dem Kinn langsam über ihren Kopf. »Es ist
Zeit

Weitere Kostenlose Bücher