Penelope Williamson
Versprechen aufgewiegelt, englische Skalps gut
zu belohnen.
Viele Leute verließen deshalb die Siedlungen und kehrten nach Boston
zurück. Aber mein Vater hatte sich eine Schiffsbauerwerkstatt aufgebaut, eine
kleine Werft, die gerade anfing, Gewinn zu machen. Ich erinnere mich noch
daran, wie meine Mutter davon sprach, daß sie alles aufgeben müßten, wenn sie
aus Angst vor den Indianern in die Stadt flohen, und sei es auch nur für ein
Jahr.«
Tyl schwieg überrascht darüber, daß er sich so genau erinnerte.
Vielleicht hatte er das alles nicht vergessen, weil seine Mutter seinen Vater
angeschrien hatte, obwohl sie sonst immer sehr leise sprach. Ja, Mutter war
entschieden dagegen gewesen, Kittery und die Werft zu verlassen.
»Als der Winter kam, fühlten wir uns in Sicherheit«, fuhr Tyl
fort. »Aber eines Nachts wachten wir auf und sahen flußaufwärts über den anderen Siedlungen roten Feuerschein. Es
war eine Nacht im Februar. Am Morgen zuvor hatte es geschneit. Wir rechneten
nicht damit, mitten im Winter angegriffen zu werden. Es lag hoher Schnee.
Eine Eiskruste bedeckte den Schnee. Sie knirschte unter ihren
Füßen, als meine Eltern um ihr Leben liefen. Der Mond stand hell am Himmel.
Alles um sie herum glitzerte silbern, und winzige Eiskristalle wirbelten durch
die Luft. Ich fiel immer wieder hin, aber Vater packte mich am Arm und hob mich
so hoch in die Luft, daß meine Füße über den Schnee glitten. Ich lachte
vergnügt, denn ich war noch zu klein, um mich zu fürchten.
Portsmouth war eine Garnison, und der Fluß war
zugefroren. Wir mußten nur über den Fluß und uns im Fort in Sicherheit bringen.«
Schmerz lag in seinen Augen, als sein Blick über die kleine Bucht
schweifte.
»Aber wir sind nicht weiter als bis hierher
gekommen.«
Die Indianer mit ihrem Kriegsgeheul schienen
geradewegs aus den Stämmen der Bäume hervorzustürmen. Seine Mutter schrie laut
auf, und der Vater hatte einmal die Muskete abgefeuert. Danach schrie Mutter
nicht mehr. Ein starker Arm legte sich um Tyls Hals, und er sah einen Tomahawk
blitzen. Er strampelte und wehrte sich verzweifelt, aber in diesem Augenblick
begriff er, daß er sterben würde. Seine Mutter warf sich auf den Mann, der ihn
festhielt. Es kamen noch andere Indianer und schleppten sie fort, aber der
Augenblick war vorüber, und Tyl wußte, daß er doch nicht sterben würde.
Für seinen Vater gab es keine Hilfe. Sie
standen damals genau an dieser Stelle, er und seine Mutter, während die
siegreichen Pequawkets um sie herumtanzten und ihre Kriegslieder sangen. Unter
dem Kopf des Vater wurde der Schnee rot. Weiße Flocken sanken auf das Blut und
legten sich wie eine weiche weiße Decke auf den Toten.
Sehr viel später, als Tyl vierzehn und in
jeder Hinsicht ein Abenaki geworden war, zog er zum ersten Mal nach Westen
gegen die Mohawk in den Krieg. Am Ende des Kampfes hatte er drei Skalps
erbeutet und fühlte sich so mutig, stolz und unbesiegbar, daß er genauso
triumphierend die Toten umtanzte wie die Pequawkets seinen Vater.
Plötzlich begann Tyl zu zittern. Die Beine versagten ihm den
Dienst. Schnell setzte er sich auf den steinigen Boden der Bucht und zog Delia mit sich. Sie drückte sich an ihn und
legte die Arme um ihre angezogenen Beine. Nach einer Weile wurde er ruhig. Ein
Gefühl des Friedens erfaßte ihn ... vielleicht zum ersten Mal in all den
Jahren, seit man ihn aus der Abenaki-Sippe gerissen und in die Welt der Yengi zurückgebracht hatte.
Sie schwiegen lange. Dann fuhr sie mit der Handfläche über sein
angewinkeltes Knie. Er wußte, daß sie über alles nachgedacht hatte, was sie
von ihm wußte. Der Gedanke machte ihn verlegen, und er verstand nicht, weshalb
er so viel von sich erzählt hatte.
»Sie haben dich und deine Mutter als Gefangene mitgenommen«,
sagte Delia. »Das muß für einen Sechsjährigen ein schreckliches Erlebnis
gewesen sein.«
Er wollte ihr sagen, daß es nicht so schrecklich gewesen war. Aber
vermutlich hatte er nur alles Schreckliche vergessen.
»Sie haben uns wie Tiere behandelt«,
antwortete Tyl. »Wir mußten die Beute schleppen, die sie aus den Häusern
holten, bevor sie alles anzündeten. Dann zwangen sie uns, vierhundert Meilen
bis nach Quebec zu laufen. Die Franzosen gaben ihnen für jeden englischen
Gefangenen zehn Pfund, aber auch zehn Pfund für einen Skalp. Wer nicht mehr
laufen konnte, wurde zuerst geschlagen ...«
»Aber du warst doch noch ein Kind!«
»Ich war groß genug, um zu laufen.« Er legte sich
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