Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
Vom Netzwerk:
danach dem Alkohol verfiel. Sie konnte Tyls Leid nur allzugut
nachempfinden. Jetzt verstand sie seinen Zorn, als er Sir Patrick, seinem
Großvater, entgegengeschleudert hatte: Ich weiß nicht mehr, wer ich
eigentlich bin!
    Delia wünschte sich sehnlichst, ihn von diesem Leid zu befreien.
Sie würde ihn durch ihre Liebe heilen, wenn er es ihr nur erlaubte. Und er
könnte sie mit seiner Liebe heilen.
    Als sie ein von Palisaden umgebenes Blockhaus in der Mitte von
Kittery erreichten, sahen sie zwei Indianer, die mit Pfeil und Bogen auf eine
hölzerne Zielscheibe schossen. Hinter ihnen standen ein halbes Dutzend bärtiger
Männer, die aufgeregt Einsätze auf den Sieger des Wettschießens abschlossen.
    Delia warf verstohlen einen Blick auf
Elizabeth. Würde sie beim Anblick der Indianer wieder hysterisch schreien? Aber
Elizabeth saß teilnahmslos auf der Sitzbank und hatte die Kapuze ihres Umhangs
tief ins Gesicht gezogen. Der Wind drehte plötzlich und trieb den Regen
geradeswegs auf sie zu. Caleb half seiner Frau fürsorglich, den Umhang noch
fester zu schließen. Dabei sah Elizabeth ihren Mann flüchtig an, aber aus ihrem
Blick sprach keineswegs Dankbarkeit.
    Caleb richtete sich auf und seufzte. Delia bedauerte ihn, denn er
liebte seine Frau und wollte sie glücklich machen. Aber alle seine Bemühungen
hatten offenbar keinen Erfolg.
    Delia wollte die beiden aufheitern und sah sich suchend um. Vor
ihnen tauchte ein großes verfallenes Gebäude aus Holz auf. Die Tür hing schief
in den Angeln. Unkraut überwucherte den Vorplatz, und dünne Kiefern wuchsen
durch den morschen Bretterboden der Veranda. Die wenigen Fenster hatten schon
lange keine Scheiben mehr, und an der Nordseite waren die Wände von Flechten
und dichtem Moos überzogen. Eine große Gallionsfigur stand auf einem Sockel
neben der Tür und zog den Blick auf sich.
    Es war eine Meerjungfrau, die früher einmal in leuchtenden Farben
geglänzt haben mußte, mit feuerroten Haaren und einem jadegrünen Fischleib. Den
nackten Oberkörper zierte nur ein hellblauer Schleier. Aber die Farbe war
inzwischen verblaßt und blätterte ab. Schwarze Rußstreifen entstellten ihr
Gesicht und sahen aus wie Tränen.
    Dieses Fabelwesen der Meere schien in alle Ewigkeit auf festes
Land verbannt worden zu sein, um einsam in der Sonne zu bleichen und von Wind
und Wetter gegerbt zu werden.
    Delia legte schützend die Hand über die Augen
und versuchte, die verblaßte Schrift auf einer Tafel zu entziffern, die sich
über die ganze Länge des Gebäudes zog. »Was steht dort?« fragte sie Elizabeth.
    »'Savitch und Sohn, Schiffsbau'«, antwortete Caleb anstelle seiner
Frau, die Delias Frage nicht verstanden hatte. Als der Reverend verwundert auf
Tyl blickte, der in großem Abstand vor ihnen ritt, sagte Delia: »Tyls Vater war
Schiffsbauer ... hier in Kittery. Die Indianer haben ihn getötet. Aber das ist
schon sehr lange her«, fügte sie schnell hinzu. »Dies hier muß wohl die Werft
gewesen sein.«
    »Ach ... ich verstehe.« Caleb nickte langsam.
    Delia blickte nachdenklich auf die großen, verblaßten Buchstaben: Savitch und Sohn.
    Was mag das wohl für ein Mann gewesen sein, der bereits damals
seinen kleinen Sohn als Teilhaber vor sich gesehen hatte? Der Vater war viel zu
früh gestorben, und auch die Mutter war schon lange tot. Nur ihr Sohn hatte
überlebt. Er war stark und führte ein unabhängiges Leben. Aber er war einsam
...
    »Hat Tyl als einziger den Angriff überlebt?«
    Delia sah Caleb verständnislos an, denn sie hing ihren eigenen
Gedanken nach. »Wie bitte? Nein ... nein, Tyl und seine Mutter wurden von den
Indianern gefangengenommen. Seine Mutter ist später gestorben.«
    Caleb blickte unsicher auf seine Frau, die bei Delias Worten wieder
leichenblaß wurde, und schwieg. Auch Delia zog es vor, nichts mehr zu sagen,
bis Kittery langsam hinter ihnen zurückblieb.
    Ihre Gedanken wollten jedoch nicht zur Ruhe kommen. Ich will
dich, Delia. Wenn er das wirklich gesagt hatte, was meinte er damit? Sie wußte nur allzu gut, daß ein Mann mit einer
Frau schlafen konnte, ohne die geringste Liebe dabei zu empfinden. Wollte Tyl
auch von ihr nichts anderes?
    Anfangs kamen ihnen Ochsengespanne entgegen,
die gefällte Baumstämme zu den Sägewerken von Kittery zogen. Aber bald
begegneten sie niemandem mehr auf der Straße. Es war eigentlich übertrieben,
die zwei ausgefahrenen, schlammigen Wagenspuren als »Straße« zu bezeichnen. Sie
verlief beinahe direkt am Meer entlang. Dreimal

Weitere Kostenlose Bücher