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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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niemals schlagen würde, selbst wenn er noch so wütend auf sie war.
    Er wich etwas zurück, versperrte ihr aber den Fluchtweg, indem er
beide Hände dicht neben ihren Schultern an die Wand legte. »Warum bist du
letzte Nacht nicht gekommen?«
    »Laß mich los ...«
    »Nein.«
    »Du hast morgens immer so schlechte Laune.«
    »Ich will es wissen! Sag mir, warum hast du dein Versprechen nicht
gehalten?«
    »Ich habe
es dir nicht versprochen. Du hast es dir eingeredet.«
    »Bei Gott!« Er richtete sich auf, drehte sich um und fuhr sich mit
den Händen leise fluchend durch die Haare. Dann richteten sich seine wütenden
Augen wieder auf sie. »Warum tust du mir das an?«
    »Ich schlafe nicht mit dir, Tyl, nur weil du mit dem Finger
schnippst.«
    Er zog die Brauen zusammen. Seine Augen wurden schmal. Delia
stockte der Atem. Jetzt schien er wirklich wütend zu sein. Aber im nächsten
Augenblick warf er den Kopf zurück und lachte.
    »Du bist wirklich komisch!« rief er. »Wenn ich mich recht erinnere,
habe ich dich in meinem Bett kennengelernt.«
    Die Anspannung war zu groß, und sie fing an zu schluchzen. Er hob
die Hand und strich ihr zärtlich über die Wange. Dann schob er ihr eine Locke
hinter das Ohr und beugte sich vor.
    »Delia ...«, flüsterte er, aber sie wollte nichts mehr hören. Sie
stieß ihn von sich, lief zur Tür und rannte hinaus in den Hof.
    Sie blieb erst stehen, als sie sicher war,
daß er ihr nicht folgte.
    Die Einwohner
von Wells hatten Pocken.
    Die Epidemie war bereits abgeklungen. Es hatte Tote gegeben, und
die Überlebenden bekamen häßliche Narben. Nur noch eine alte Frau und ein Kind
lagen krank danieder, aber niemand glaubte, daß die beiden die Nacht überleben
würden.
    Tyl hatte geplant, daß sie in der kleinen Siedlung, die sich etwa
sieben Meilen an der Küste von Maine entlangzog, übernachten würden. Aber als
sie von der Pockenepidemie erfuhren, ritten sie sofort weiter. Etwa fünf Meilen
weiter schlugen sie an der Küste schließlich ein Lager auf.
    Tyl wollte nicht auf das Abendessen warten, sondern sofort in die
Stadt zurückreiten. Als er aufsaß, lief Delia zu ihm und versuchte, ihn daran zu
hindern.
    »Tyl, du darfst nicht zurück! Denk doch nur daran, daß du dich
anstecken könntest!«
    Er beugte sich vor und küßte sie auf die Nasenspitze. »Ich werde
mich nicht anstecken, ich bin geimpft.«
    Es waren die ersten Worte seit dem Streit am frühen Morgen.
Einerseits war Delia erleichtert, daß er offenbar nicht mehr wütend auf sie
war, andererseits war sie jetzt wütend auf ihn. Wenn er sich ärgerte, dann
schoß die Wut schnell aus ihm heraus und war danach verflogen. Sie dagegen
konnte nicht so schnell vergeben und vergessen. Sie sah ihn trotzig an und
rief: »Ach dieses ... dieses Impfen ist doch alles Unsinn. Das hat dein
Großvater auch gesagt.« In Wirklichkeit wußte sie nicht, was »Impfen« überhaupt
bedeutete.
    Tyl erwiderte lachend. »Erst wenn ihr beide, du und mein
Großvater, in Edinburgh Medizin studiert habt, dann können wir uns darüber
ernsthaft unterhalten.« Als sie ihn am Steigbügel festhielt, fügte er ernst
hinzu: »Delia, ich bin Arzt. Ich kann nicht einfach weiterreiten, wenn jemand
meine Hilfe braucht.«
    »Aber wenn sie doch sowieso sterben ...«, rief sie unglücklich.
»Ich kann ihnen helfen, ohne Schmerzen zu sterben.«
    Er wendete den Hengst und galoppierte den Weg zurück, den sie
gekommen waren, ohne auf Delias Rufe zu achten.
    »Du bist ein Esel, Tyl! Glaub ja nicht, daß ich dich pflegen werde,
wenn du die Pocken bekommst!«
    Die stille Abendluft trug ihr sein unbekümmertes Lachen zu. Delia
sah ihm in ohnmächtiger Wut nach und machte sich gleichzeitig Sorgen um ihn.
Tyl war so unberechenbar und in vielen Dingen unverständlich. Aber sie wußte,
deshalb liebte sie ihn um so mehr, und sie wollte ihn auf keinen Fall
verlieren.
    Ich bin ein Esel, sagte sie sich. Wie kann ich ihn verlieren, wenn
er mich nicht liebt?
    Später am Abend stand sie am Strand. Die Wellen umspülten ihre
nackten Füße, und sie atmete tief die salzige Luft ein, die streng nach Seetang
roch. Der sanfte Wind umspielte ihre Wangen und fuhr zärtlich durch die langen
schwarzen Haare.
    Der Atlantik lag flach und grau vor ihr. Der volle Mond spiegelte
sich in den sanften Wellen. Hinter ihr begann der Wald. Nur der schmale
silberne Sandstrand trennte sie von der Wildnis. Zur Rechten tanzten die
zuckenden Schatten des Lagerfeuers auf dem Sand. Delia sah nur den

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