Penelope Williamson
Riemen ihres Lederkleids, legte die Hand zuerst auf ihren Oberkörper und
betastete dann den Leib. Die Frau lächelte. Ihr fehlten fast alle Zähne, und
das Zahnfleisch blutete. Aber ihr Lächeln war offen und vertrauensvoll. Delia
glaubte beinahe zu sehen, wie ihre Schmerzen nachließen.
Tyl hat wirklich heilende Hände, dachte Delia voll Bewunderung und
Stolz. Er sprach freundlich und aufmunternd mit der Indianerin und nahm ihr
dadurch die Angst.
In diesem Augenblick liebte Delia ihn mehr, als sie es jemals für
möglich gehalten hätte.
Der alte Trapper beugte sich über seine Squaw und fragte: »Was hat
sie, Doktor?«
»Ihre Krankheit kommt von falscher Ernährung, Jefferson. Ihr zwei
dürft nicht monatelang nur gesalzenes Fleisch und Zwieback essen.« Er sagte
etwas zu der Frau in ihrer Sprache, und sie nickte. »Susan wird ihr nach meinen
Angaben eine Fischsuppe mit Gemüse kochen, und sie muß alles aufessen.
Dann bringst du sie dazu, daß sie ein paar Becher Sprossenbier trinkt. Schaffst
du das?«
»Ja. Wird sie es überleben?«
»Wenn du ihr etwas Ordentliches zu essen
gibst, schon. Sie braucht beinahe jeden Tag etwas Grünes, Gemüse und Bier.
Später auch Beeren und Äpfel, wenn sie reif sind. Für den nächsten Winter mußt
du Beeren und Äpfel trocknen und auch genügend andere Vorräte anlegen, damit
so etwas nicht noch einmal passiert. Ich hole jetzt ein paar Heilkräuter aus
meiner Satteltasche. Davon kannst du ihr in den nächsten Tagen Tee kochen. Das
stoppt den Durchfall.«
Der alte Trapper nickte, hob seine Squaw von der Bank und folgte
Tyl mit ihr auf den Armen nach draußen.
Susan blickte ihnen seufzend nach und schüttelte den Kopf. »Jefferson
ist wirklich verrückt. Das arme Mädchen kann einem leid tun, obwohl ich glaube,
daß er sie irgendwie liebt.« Dann sah sie die Hookers an, die erschöpft neben
dem Herd standen. »Ich denke, Tyl wird wenigstens einen Tag und eine Nacht
hierbleiben. Bei mir können Sie sich erst einmal richtig ausruhen.«
»Das wäre wirklich schön«, sagte Caleb, und
es klang kleinlaut. Seit Wells hatten sie sich zwei Wochen lang kaum Zeit zum
Ausruhen gegönnt. »Tyl hat davon gesprochen, daß wir die letzte Strecke bis
Merrymeeting auf einem Schoner zurücklegen. Es gibt offenbar keine richtige
Straße mehr ...«
»Richtig, die Straße endet hier in Falmouth.
Ein Trampelpfad führt zwar um die Bucht, aber selbst zu Pferd ist das kein
Vergnügen und mit einem Ochsengespann läßt es sich auf keinen Fall machen.
Käpitän Abbott liegt mit seinem Schoner nicht weit von hier vor Anker. Er wird
Sie nach Merrymeeting bringen. Der alte Pirat ist Tyl noch einen Gefallen
schuldig. Er hatte im vorletzten Winter eine schwere Verletzung, und Tyl hat
ihm das Leben gerettet.«
»Wie weit ist es von hier bis nach Merrymeeting?« fragte Delia,
obwohl Susan sie bewußt nicht beachtete.
»Nicht mehr weit. Bei gutem Wind dauert es mit dem Schiff etwa einen Tag.« Susans kleiner Sohn drückte sich
neugierig an seine Mutter und blickte mit großen blauen Augen auf die Fremden.
»Toby, geh in den Speicher und hol uns ein Bündel Maiskolben. Wir rösten den
Mais und trinken dazu ein paar Gläser von meinem Eierlikör. Ich weiß, das ist
für Tyl vor dem Essen das Richtige.« Sie lachte plötzlich laut und drehte den
Kopf nach der Haustür. Delia sah, daß Tyl gerade hereinkam und den Kopf
einziehen mußte. »Was hältst du von einem Glas Eierlikör, Tyl?« Er nickte
zustimmend.
Noch ein Tag mit dem Schiff, dachte Delia und
setzte sich niedergeschlagen in eine Ecke, und wir sind in Merrymeeting. Dann
wird er mich Nat Parker übergeben. Ich werde einen Mann heiraten, den ich noch
nicht einmal vorher gesehen habe. Ich werde Tyl nur hin und wieder bei Festen
begegnen und vielleicht auch im Bethaus, das heißt, wenn er überhaupt zum
Gottesdienst erscheint. Wenn ich krank bin, wird er mich natürlich als Arzt
aufsuchen und mich mit seinen Händen berühren. Und wenn ich Kinder bekomme ...
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wollte diese trübsinnigen
Gedanken abschütteln, aber es gelang ihr nicht. Ein Blick auf Tyl genügte, und
ihr Kummer nahm zu.
Jeden Morgen, wenn ich aufwache, werde ich
mich fragen, ob ich ihm vielleicht zufällig begegne. Nichts anderes habe ich
mir in Boston gewünscht. Aber, allmächtiger Gott, wie konnte ich so dumm sein
zu glauben, daß ich damit zufrieden sein würde?
Susan rührte den Teig für den Buttermilchkuchen so heftig, daß
Weitere Kostenlose Bücher