Penelope Williamson
herbringt.«
Delia nickte nur. Sie kämpfte mit einem Kloß im Hals, der ihr den
Atem nahm. Alles in ihr fühlte sich kalt und wie abgestorben an. Sie hatte
wirklich nicht erwartet, daß Nat sich in sie verlieben würde, aber sie hätte
doch gewünscht, daß er wenigstens etwas mehr als nur das für sie
empfinden würde.
Er sprach über die Hochzeit, als wollte er sie damit wie eine Sklavin
kaufen.
In gewisser Weise ist eine Ehe offenbar nichts anderes ... dachte
sie niedergeschlagen.
»Sie trinken wirklich keinen Rum?« fragte
Delia in plötzlicher Panik.
Nat wollte gerade das Schlafzimmer verlassen. Er blieb stehen und
drehte sich noch einmal um. »Ich habe Ihnen gesagt, ich bin von Natur aus
abstinent. Ich habe das Teufelszeug noch nie im Leben angerührt.«
Delia atmetete erleichtert auf. »Wie lange wird es mit dem Aufgebot
und ... allem dauern?«
Er zuckte mit den kantigen Schultern. »Nicht länger als zehn Tage
... sollte ich meinen.«
Zehn Tage
...
Delias Blick richtete sich wieder auf das
Bett. In zehn Tagen also ...
Als Nat nach dem Essen hinausging, um die Stute anzuspannen, damit er
seine Zukünftige zu den Bishops zurückbringen konnte, fiel Delias Blick wieder
auf Tildys Fibel, die in einer Ecke lag. Sie fragte das kleine Mädchen, ob sie
die Fibel vielleicht für die nächste Woche ausleihen könnte.
»Die können Sie haben«, antwortete Meg
verächtlich anstelle ihrer Schwester. »Sie können wohl noch nicht einmal lesen
und schreiben, was? Tildy ist erst drei, aber sie kennt bereits alle Buchstaben.
Stimmt doch, Tildy?«
Tildy sah Delia mit großen Augen an. »O ja«,
rief sie und nickte.
»Sie bekommt bald ein richtiges Schulbuch«,
sagte Meg stolz, und als sie zu ihrer Zufriedenheit bemerkte, daß Delia rot
geworden war, fügte sie bissig hinzu: »Meine Mama konnte lesen und schreiben.
Ich habe es von ihr gelernt. Jetzt bringe ich es Tildy bei. Ich verstehe
wirklich nicht, warum Papa Sie heiraten muß. Wir brauchen Sie nicht. Sie können
ja sowieso nichts.«
Delia schwieg und nahm die Fibel mit. Sie
dachte an die vielen Bücher in Annes »Bibliothek«. Vielleicht würde Anne bereit
sein, ihr Lesen und Schreiben beizubringen. Delia nahm sich vor, eine gute Frau
und Mutter zu werden. Aber sie mußte sich eingestehen, daß das nicht der
einzige Grund für ihren Ehrgeiz war. In Wirklichkeit wollte sie Tyl
beeindrucken. Er sollte es noch einmal bereuen, daß er sie von sich gestoßen
hatte.
Vor dem Backsteinhaus hatte sich eine lärmende Menge versammelt, als
Delia und Nat vorfuhren. Delia entdeckte Tyl auf den Stufen vor dem
Hauseingang der Bishops. Er rief etwas, aber er wurde von den lauten Stimmen
der anderen übertönt.
Anne stand hinter ihm auf der Veranda. Sie
hatte die Arme verschränkt und sah mit versteinertem Blick auf
die Menge. Delia sprang aus dem Wagen, bahnte sich einen Weg und eilte die
Stufen hinauf.
Tyl hatte keinen Blick für sie übrig. Er deutete auf eine Frau und
rief: »Agnes Cartwright, wollen Sie wirklich mitansehen, wie Ihre fünf Kinder
die Pocken bekommen, nur weil Sie zu verbohrt und starrköpfing sind, um
rechtzeitig Vernunft anzunehmen?«
»Was ist los?« fragte Delia atemlos Anne. »Warum sind die Leute
so aufgeregt?«
»Ach, der Doc will uns weismachen, daß er durch Impfen jeden vor
den Pocken schützen kann, auch die Kinder.«
Delia erinnerte sich, daß Tyl darüber mit seinem Großvater
gesprochen hatte. Ein gewisser Cotton Mather hatte irgendwelche Experimente
durchgeführt.
»Ja, das stimmt«, sagte sie zu Anne. »In Boston macht man das
jetzt auch ...«
Anne schnaubte. »Es ist wirklich verrückt! Die Ärzte machen einen
zuerst krank, um einen damit angeblich vor der Krankheit zu schützen! Wer soll
diesen Unsinn glauben?«
Sie sagte das laut genug, daß Tyl es hören konnte. Er drehte sich
wütend um. »Sie haben mir nicht richtig zugehört!« rief er empört.
»Wie soll ich zuhören, wenn jemand ohne Unterlaß in meine Ohren
schreit?« erwiderte sie kühl.
Delia kicherte, und Tyls Zorn richtete sich augenblicklich gegen
sie. »Wo hast du dich denn den ganzen Tag herumgetrieben?«
»Ich war bei Nat und habe mir seine Farm angesehen. Übrigens, wenn
du willst, kannst du es mit mir ausprobieren, Tyl. Ich habe nichts dagegen.«
Tyl lächelte plötzlich. »Das ist ein verlockendes Angebot, Kleines!
Was soll ich mit dir ausprobieren?«
Sie deutete auf seine Arzttasche, die neben dem Treppengeländer
stand. »Das Experiment mit den Pocken.
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