People Always Leave
halbe Tablette reichte bald nicht mehr aus, und ich steigerte auf eine ganze, bis ich die Dosis später auf eineinhalb erhöhte. Wirklich gut ging es mir dabei nicht, denn trotz der Einnahme, kamen die Panikattacken manchmal zurück, doch musste ich sie einfach irgendwie aushalten. Die Arztbesuche wurden weniger und mein Leben ging weiter. Jedoch wollte ich es einfach nicht dabei belassen – es konnte nicht die Psyche sein. Immerhin bekam ich diese Anfälle überall. Egal, ob beim Duschen oder auf dem Klo oder sonst wo. Mein Blut wurde mehrmals untersucht, und ständig war die Diagnose eine andere. Mal eine Schilddrüsenunterfunktion, dann eine Überfunktion, dann wieder gar nichts. Irgendwann wurde ich positiv auf antinukleäre Antikörper getestet, und meine Hautärztin meinte zu mir, dass ich Hashimoto hätte. Erneut ließ ich mein Blut testen und alles war wieder in Ordnung. So kam es, dass ich immer weniger zum Arzt ging und es mir manchmal echt egal war, ob ich sterben oder umkippen würde.
Dean sah Nathan sprachlos an.
„Ist jetzt nur eine Kurzfassung gewesen. Wollte nicht zu sehr ins Detail gehen“, lächelte Nathan verlegen.
„Komm mal her“, meinte Dean den Tränen nahe. Verdutzt ließ sich Nathan drücken. „Das tut mir alles so leid, Nathan.“
„Ist ja nicht deine Schuld“, flüsterte er und sah Dean tief in die Augen.
„Was geschah dann? Ich meine, wenn dir ein Arzt sagt, dass du Hashimoto hast, dann hast du es höchstwahrscheinlich auch. Und bei dieser Krankheit ist es eben so, dass du mal eine Unter- und dann wieder eine Überfunktion der Schilddrüse hast. Und die Symptome, die du hattest, deuteten ja auch alle darauf hin.“
„Ich hatte einfach keine Lust mehr.“
„Aber es war doch ein Anhaltspunkt und eine eigentlich schon gestellte Diagnose.“
„Ich ging irgendwann noch mal zu zwei Spezialisten, die mir beide wieder was anderes sagten, und danach hatte ich einfach keine Lust mehr. Mir wurde es egal. Tagtäglich spürte ich mein Herz. Im Bauch, in den Fingern, einfach überall. Die Beruhigungspillen raubten mir manchmal den Verstand, und so ging mein Leben halt weiter.“
„Jeden Tag so viele Tabletten?“
„Jeden Tag.“
„Wer hat dir denn ständig die Benzodiazepine verschrieben?“, wollte Dean mit ernster Miene wissen.
„Jeder.“
„Wie, jeder?“
„Egal, bei welchem Arzt ich war. Jeder hat sie mir verschrieben. Und wenn nicht auf Rezept, dann privat.“
Fassungslos schüttelte Dean seinen Kopf. Ihm fehlten die Worte.
„Du, Dean? Ich geh mal kurz aufs Klo, ja?“
„Mach das“, sagte er und sah ihm nach. „Ich glaube es einfach nicht.“
Nathan schloss die Badezimmertür hinter sich ab und begab sich zum Spiegel. Er blickte hinein und brach nach wenigen Sekunden lautlos in Tränen aus.
20. KAPITEL
A tembeschwerden plagten Nathan. Er wusste, dass er sie nur wieder loswurde, wenn er sich beruhigte. Tief atmete er ein und wieder aus – und noch mal. „Reiß dich zusammen!“, fluchte er sein Spiegelbild an und wusch sich die Tränen aus dem Gesicht. Langsam begab er sich zurück zu Dean, der nichts ahnend auf der Couch saß.
„Hey“, lächelte Dean erfreut, als Nathan sich wieder neben ihn setzte.
„Alles in Ordnung?“, fragte er, als er auf den gesenkten Kopf Nathans blickte, der völlig in sich gekehrt zu sein schien. „Was hast du?“
„Ich wünschte“, begann Nathan erneut den Tränen nahe, „mir wäre das alles niemals passiert.“
„Nathan“, sagte Dean besorgt. Er konnte seine Gefühle nicht mehr zurückhalten. „Komm her“, schluchzte er mitfühlend und drückte ihn fest an sich.
„Ich wollte doch nur ein ganz normaler Junge sein“, wimmerte Nathan. „Ein ganz normales Leben führen, wie all die anderen auch. Jeder hatte seinen Spaß … genoss sein Leben … nur ich nicht. Ich habe aufgehört zu leben. Ich lebe schon lange nicht mehr.“
„Doch, das tust du!“, widersprach Dean. „Du lebst, Nathan. Du bist am Leben.“
„Das ist kein Leben. Es ist schon lange keines mehr. Seit diesem Tag habe ich aufgehört zu leben. Es ist nur noch eine Qual.“
„Nathan …“
Sofort wurde er unterbrochen. „Nein, Dean! Du kannst dir das einfach nicht vorstellen. Niemand kann es. Vielleicht andere Betroffene, falls es diese überhaupt gibt, und selbst wenn. Keiner weiß, wie es sich anfühlt, ich zu sein. Es ist unerträglich. Du wachst morgens auf und das Erste, das du spürst, ist dein Herz. Du gehst duschen und
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