Per Anhalter (German Edition)
Höchstmaß an Freundlichkeit. Die Frau nickte. Sie musste ungefähr im Alter seiner Mutter sein, schätze er, aber sie sah um ein Vielfaches besser aus. Ihre langen, gelockten Haare verliehen ihr eine erfrischende Wildheit .
Wild , dachte er, wild ist genau der richtige Ausdruck. Passt auch zu dem Auto und so . „Wollen Sie nach Flensburg?“ fragte er verlegen. Die Frau hatte nussbraune Augen und verzog ihre schmalen Lippen zu einer langen, schmalen Linie in der tausend Möglichkeiten zu stecken schienen.
„Spring rein“, antwortete sie nur und verzog dabei keine Miene. Es war unmöglich, anhand ihres Gesichtes die Stimmung auszumachen. Er fasste ihre Antwort als ja auf und schwang sich auf den Beifahrersitz des Land Rovers. „Cool, vielen Dank“ sagte er. Er hatte das Gefühl, alles was er sagte war irgendwie überflüssig, als wollte sie gar nicht mit ihm reden und auch nichts über ihn erfahren. Sie trug ein Tanktop mit Tarnmuster, unter dem sich kleine aber feste Brüste abzeichneten. Ihre Arme waren dünn und beneidenswert braun. Sie hatte außerdem eine enge Jeansshorts an, in der ihr hintern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit knackig und heiß aussah. Er schaute immer wieder zu ihr rüber, ganz zaghaft, vorsichtig, verschmitzt, ängstlich sogar. Über ihrer Lippe entdeckte er ein Piercing. Sie sieht wirklich verdammt gut aus , dachte David. Doch er erkannte sogleich tiefe Falten in ihrem Gesicht. Sie war der eigentümliche Frauentyp, von dem man denkt, wow, heißer Feger , bis sie sich umdreht und man überrascht ist, wie alt sie in Wirklichkeit schon ist.
Keine Gesichtsbaracke, oh nein, aber dennoch ein geschickt verschnürtes Mogelpäckchen. Auch die Haut an ihren Armen war längst nicht mehr so straff, wie er anfangs angenommen hatte. Als sie auf die Autobahn aufgefahren war, reichte sie ihm plötzlich die Hand.
„Ich bin Britta“ sagte sie. Ihr Tonfall war genau wie ihre Mimik: undurchsichtig!
„David“ stellte er sich vor und legte dabei sein freundlichstes, professionelles guter Junge Lächeln an den Tag. Er wollte noch irgendetwas hinzufügen, etwas Entkrampfendes, und starrte sie an, doch ihm fiel nichts ein. Sie konzentrierte sich aufs Fahren, auf sonst nichts. „Bin Lasse“, brummte es auf einmal und er spürte, wie ihn etwas an der Schulter berührte. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte gequiekt wie ein kleines Mädchen. Wie konnte er nur übersehen, dass auf dem Rücksitz noch jemand war? Vor allen Dingen, was dort war.
„Oh sorry“, sagte er verlegen lächelnd.
„Ich hab euch gar nicht gesehen.“
Auf der Rückbank war also Lasse, okay. Lasse war mit ihm ungefähr in einem Alter, 15, 16 plus/minus ein bis zwei Jahre, genau konnte er das nicht sagen. In jedem Fall war Lasse der mit Abstand hässlichste Junge, den David je gesehen hatte. Er war unheimlich fett! So fett, dass er aussah, wie ein riesengroßer mit Sand gefüllter Luftballon. Seine speckige Wampe war unter dem Zelt eines blauen T-Shirts verpackt, auf dem ein Mainzelmännchen in der Hängematte lag. Es passte gut von der Kombination her, das T-Shirt und der Fettwanst, quasi ein Herz und eine Seele. Lasses Arme waren übervoll mit diffusen Narben und sein aufgedunsenes Antlitz war ein dichtbesetztes Minenfeld aus proppevollen Eiterpickeln. Am Kinn und unter der Nase wucherten Bartstoppeln, wovon zwei oder drei so lang waren und hervorstachen, dass es einfach nur ungepflegt und unfassbar bescheuert aussah.
Ungefähr so, als hätte er sich unten ein Schamhaar abgeschnitten und es oben wieder angeklebt. Die Pilzkopffrisur trug zusätzlich dazu bei, dass er wie der letzte Hoschi aussah. Auf der anderen Seite der Rückbank der krasse Kontrast. Dort lag ein zierliches, zerbrechliches Kind im Säuglingsalter im Kindersitz und starrte mit riesigen blauen Kulleraugen nach vorn.
„Kein Ding“ meinte Lasse schließlich.
Er schürzte seine voluminösen Lippen und nickte mit dem Kopf. Eine Geste, die so viel ausdrückte wie: Du bist in Ordnung, Mann. Echt in Ordnung! Dann nahm er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, einen uralten Game Boy in die Hand. Ein solches Teil hatte David selbst einmal besessen, genau wie das Spiel das Lasse spielte. Ohne Frage war das die Hintergrundmusik von Donkey Kong. Donkey Kong , dachte David , und dazu die Mainzelmännchen. Irgendwie weiß der Typ was zu ihm passt. Sie fuhren über die Autobahn und keiner sagte etwas. Selbst das Baby war still. Das Autoradio war
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