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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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ausgedrückt.
    Schwarz-weiße Ringe begannen flackernd vor seinen Augen zu tänzeln.
    Er wusste nicht mehr, was vorne und was hinten war. Er registrierte nur noch vage Umrisse: Der Hund/Lasse/Lasse hat auch eine Zigarette/Lasse kommt auf mich zu/Der Hund bewegt sich auch/Irgendwo singt ein Vogel/Gänsehaut/Lasse hat die Zigarette auch zwischen zwei Fingern… Gleich wird er… Gleich wird er…/Er grinst schon so… Oh nein! Oh nein! Mit letzter Kraft versuchte er, seinen Kopf wegzuziehen, aber er schaffte es nicht, seinem Gehirn das hierfür nötige Signal zu senden. Alles drehte sich um ihn herum. Dann verschwamm die Welt als der nächste gleißend helle Blitz ihn traf und eine Woge unfassbaren Schmerzes sich über ihm ergoss.
     
    ***
     
    Oma und Opa waren da. Sie saßen mit Mama in der Küche.
    Nadja schaute von der Stube aus zu ihnen herüber und lauschte.
    Es ging um David, natürlich.
    Opa war mal wieder vor Wut am Toben und er hatte es wie so oft geschafft, Mama mit seinem Geschrei zum Weinen zu bringen.
    Diesmal fand sie, war Opa wirklich zu weit gegangen. Sie konnte doch schließlich nichts dafür, dass David weggegangen war. Und sie wollte doch selbst dass er wieder kam.
    Opa tat gerade so, als hätte sie das alles mit Absicht getan. Und überhaupt hätte sie ihn völlig falsch erzogen und so.
    Er meinte, wenn David sein Kind wäre, hätte er dafür gesorgt, dass der Junge nie wieder einen Fuß vor die Tür setzen konnte, bis er gelernt hatte, sich vernünftig zu benehmen.
    „Man bestiehlt keine Leute“ polterte er, „Man widersetzt sich nicht den Anweisungen seiner Mutter und man haut nicht einfach ab.“
    Was sollte Mama denn dazu sagen? Was erwartete er?
    Weiterhin meinte er: „Wenn ich bei der Polizei gewesen wäre, ich hätte dem alten Sack da Druck gemacht, das kannst du mir aber glauben!“
    Nadja wusste, dass das schlichtweg nicht stimmte.
    Opa war es ja schon unangenehm, in einen Laden zurückzugehen, wenn ihm die Verkäuferin einen Fleischsalat zu viel gebongt hatte.
    Sie hatte damals mal bei Oma und Opa geschlafen, als genau das geschehen war.
    Und nun spielte er sich auf wie Mister Universum, der alles kann und alles weiß und nie Fehler macht. Die Aussage kurzum: Bei mir wäre das nicht passiert, dass er abhaut!
     
    Oma saß indes wie immer nur schweigend daneben während Opa abkackte, und gab ihm Recht, wenn sie nach ihrer Meinung gefragt wurde.
    Das Schlimmste war, als Opa zu Mama sagte: „Da brauchst du jetzt nicht da sitzen und heulen, davon wird es auch nicht besser. Hast du dich mal gefragt, was aus dem Jungen mal werden soll?“
    Mama sagte „Ja“ und Opa schlug mit der Faust auf den Küchentisch.
    „Na, da bin ich ja mal gespannt. Was denn? Ein Muttersöhnchen? Ein Sozialhilfeempfänger? Oder ein Berufskrimineller, was meinst du?“
    Für Mamas Wut und Traurigkeit ließ er gar keinen Raum. Für Opa war es nur wichtig, dass er seine Wut und seine Meinung sagen konnte. Nadja wollte eigentlich gar nicht mehr hinhören, aber sie (oder besser gesagt Opa) waren viel zu laut, als das sie sich auf das Fernsehprogramm hätte konzentrieren können.
    Überhaupt war es töricht anzunehmen, man könne sie vor dem Fernseher parken und ihr Interesse wäre damit verschwunden.
     
    Mama hatte vorhin gesagt, sie fürchtete sich, dass David etwas zugestoßen sein könnte. Diese Möglichkeit hatte sie selbst schon in Betracht gezogen, jedoch immer wieder verworfen.
    Doch diese Mutmaßung aus dem Mund ihrer eigenen Mutter zu hören, zerriss ihr das Herz. Überhaupt blutete sie innerlich, wenn sie ihre Mutter weinen sah.
    Immer schon, unabhängig warum. Wenn Mama weinte war das ansteckend.
     
    Aber was, wenn David wirklich einen Unfall hatte? Wenn er entführt wurde, oder sich verfahren hatte auf dem Weg zu Lena? Immer, wenn sie daran dachte, versuchte sie zwanghaft, an etwas Schönes zu denken, doch es fiel ihr immer schwerer.
    Sie war wie gelähmt und gefangen in einer endlosen Spirale der Angst.
    Sie sah vor sich, wie Mama Rotz und Wasser heulte, während sie dabei war, Davids Zimmer auszuräumen. Sie verstaute alles, was David einmal lieb und teuer gewesen war, in große Umzugskartons. Sie fragte bei den Nachbarn nach, ob sie selber oder Leute die sie kannten, vielleicht ein paar Pullis oder Hosen gebrauchen konnten, da ihr Sohn nie mehr wieder kehren würde. Sie sah, wie sie seine letzte Zahnbürste in ein Stück Küchenrolle wickelte, sie an sich drückte und immer heftiger weinte, ehe sie

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