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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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Haar und hatte es eilig, sich umzudrehen.
    Anders als Mama empfand Oma stets großes Unbehagen dabei, beim Weinen gesehen zu werden. Nadja fand das normaler als das, was Mama tat.
    Mama hatte überhaupt keine Probleme damit zu weinen und dabei gesehen zu werden.
    Einmal hatte sie sogar beim Einkaufen angefangen zu weinen. Vorher war sie noch richtig super drauf gewesen. Irgendwer hatte sie angerufen. David? Oder war es Opa? Sie wusste es nicht mehr – es könnte auch Mamas Chef gewesen sein. Jedenfalls stand Mama bei den Joghurts und Nadja hatte sich während des Telefonats damit abgelenkt, verschiedene Ketchup-Sorten zu begutachten. Als sie wieder zu Mama ging und sie fragen wollte, ob sie nicht mal diesen Curry-Ketchup Scharf austesten könnten, sah sie, dass Mama sich hinunter beugte, nach Joghurts griff und ihr komplettes Gesicht überströmt war mit Tränen.
    Jeder andere Mensch auf Erden hätte sich wohl zum Weinen zurückgezogen – nur ihre Mutter nicht.
    Sie weinte einfach.
    Wo immer sie gerade ging oder stand, als ob es das natürlichste auf der Welt war – wie Nase putzen oder so.
     
    Opa drückte Mama in der Küche und Oma auch. Das war beruhigend, fand Nadja. Obwohl sie gerade mächtig Zoff gehabt hatten, umarmten sie sich noch.  
     
    ***
     
    „Tja“, sagte Mama, als Oma und Opa zur Tür raus waren,
    „Das war mal wieder dein Großvater live.“ Sie versuchte gleichmütig zu wirken, doch Nadja wusste, dass das nur gespielt war. Mama war alles andere als gleichmütig, schon gar nicht bei Opa. Sie gewichtete seine Worte immer schwer. Obwohl er ihr eigener Vater war, schien er ihr sinnbildlich größter Feind zu sein, dessen Worte sie mehr kränkten als die von jedem anderen Menschen auf der Welt.
    Er behandelte sie mitunter wie ein kleines Kind.
    Sie fand das Verhalten ihres Opas ungerecht.
    Obwohl sie noch viel zu jung war für eine eigene Meinung, besaß sie längst eine.
    Sie hatte in ihrer Kindheit schon so viel miterlebt, so viel gehört und gesehen, da bleibt es gar nicht aus, dass man sich früh in die mitunter komplexen Denkmuster und Verhaltensweisen der Erwachsenen hineinversetzen kann und ebenso zu denken beginnt.
    Sie wusste, dass Opas Verhalten weniger mit übertriebener Fürsorge, als vielmehr mit dem Zwang, die Kontrolle zu behalten zu tun hatte. Mama hatte das mal am Telefon so gesagt, und sie hatte es im Kopf abgespeichert und gelernt, mit dieser Information umzugehen.
     
    Sie nahm ihre Mutter einfach in den Arm und drückte sie an sich. Sie fühlte sich abgemagert an. Nur noch Haut und Knochen. Sie schluchzte so erbärmlich, dass auch Nadja die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Sie roch nach Dove-Deo, Rauch und ihrem Taft-Haarspray. Eben so, wie Mama üblicherweise roch. Seit sie denken konnte verband sie mit dieser Geruchskombination ihre Mutter.
    „Warum hat er das bloß getan?“ fragte sie.
    „Ich versteh das nicht. Er kann doch nicht einfach von uns weg gehen...“
    Auf diese Frage aber konnte Nadja ihr keine Antwort geben. Sie wusste selbst nicht, was er sich dabei gedacht hatte. Sie nahm die Hand ihrer Mutter, drückte sie fest und sagte einfach, dass sie sie lieb hatte. Sie küssten einander auf die Lippen und weinten...
     
    ***
     
    Zugegeben: Besonders gut leiden konnte Werner Steinbach Elli nicht. Sie war eine Freundin seiner Frau und er hatte nie besonders viel mit ihr zu tun. Doch wenn er sie reden hörte, musste er sich jedes Mal fast die Ohren zu halten, weil ihm ihr Geschwafel hochtrabend und  blasiert vorkam, als wenn sie unterschwellig an jeden die Botschaft heranzutragen versuchte, Ich gebe mich zwar mit dir oder euch ab, aber nötig hab ich es nicht. Sieh mal, mein Mann verdient gut und weißt du, wir können uns das ja alles leisten und wir sind ja über dieses so froh und über jenes so glücklich. Tut mir schrecklich Leid, dass ihr es nicht so gut habt...
     
    Ihr Anruf von vorhin war schon ein bisschen skurril, aber er glaubte, was sie ihm erzählt hatte. Warum auch nicht?
    Er hatte in den Wäldern, für die er zuständig war, schon die dollsten Dinger gesehen und erlebt.
    Von Teerpappe, die einmal als Hausverkleidung diente, die einfach abgerissen und in den Wald geworfen worden war, über regelrechte Orgien die gefeiert wurden, von Kindern gelegte Waldbrände, die eigentlich als Lagerfeuer gedacht waren, und, und, und...
    Nichts war unmöglich in den Tiefen der Wälder.
    Jetzt also war da eine Frau mit Kindern, die mehrfach mit einem

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