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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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sie in den Mülleimer im Badezimmer warf.
    Dann fragte sie: „Kannst du den Müll raus bringen, Nadja? Ich schaff das nicht. Darin sind Davids letzte Sachen.“
    Sie sah einen Sarg, David lag darin. Sie sah die Beerdigung, sah Mama auf dem Boden liegend schluchzen, sah sie mit den Fäusten auf den Sargdeckel schlagen und immer wieder „Warum“ schreien. „Warum? Warum, David? WARUM?“  und niemand war dazu in der Lage, sie abzuhalten.
    Das waren so schreckliche Gedanken. Sie versuchte, sich selbst wieder Mut einzureden, doch, wie gesagt, es fiel ihr immer schwerer.
    Die Welt war wie in ein gigantisches, schweres graues Laken gehüllt, dass sie zu ersticken drohte. Sie wollte am liebsten sofort raus hier. Raus aus dieser Wohnung, weg von Opas Geschrei und fort von Mamas Traurigkeit.
    Stattdessen saß sie wie angewurzelt auf dem Sofa. Vor ihr stand ein mit Saltzstangen gefülltes Senfglas auf dem Tisch. Sie knabberte eine nach der anderen.  
    Im Fernsehen lief eine Tierdokumentation.
    Eigentlich wollte sie Zeichentrick schauen, doch sie hatte noch nicht einmal nach der Fernbedienung gesucht.
    Zwei Elefanten stolzierten über den Bildschirm. Eine monotone Stimme erörterte etwas dazu. Dann wurden eine Zebraherde und zwei Giraffen gezeigt, die auf Blättern kauten, welche sie sich vom Baum geschnappt hatten.
    Eigentlich mochte sie Tierdokus.
    Besonders wenn sie krank war und Mama und/oder David auch zu Hause waren, und sie mit guckten.
    Sie mochte es, wenn Mama Steckperlenbilder dabei machte, die Wäsche zusammenlegte oder sie fragte: „Soll ich dir noch eine warme Milch mit Honig bringen?“
    Das alles kam ihr so fern vor, obwohl es noch gar nicht lange her war, dass alles so ablief. Letzten Winter, kurz nach Weihnachten, da hatte sie richtig flach gelegen.
    Wahrhaftig hatte sie sich alles andere als gut gefühlt, aber rückblickend waren es die wohl schönsten, idyllischsten Tage ihres Lebens, weil sowohl Mama als auch David ständig um sie herum waren und sich um sie kümmerten. Draußen fiel Schnee und an einem Tag fiel sogar die Schule aus, so dass David auch zu Hause bleiben durfte. Mama musste trotzdem arbeiten, doch als sie mittags zurückkam, hatte sie viele leckere Sachen in der Einkaufstüte und sie hatten sich zu dritt einen urgemütlichen Winternachmittag vor dem Fernseher gemacht.
    Ihr wurde mulmig bei dem Gedanken daran.
    Das war Davids letzter Winter. Weißt du noch, wie er dir früher gezeigt hat, wie man unter dem Arm furzt?
    Oder als ihr auf dem Jahrmarkt ward und du mit ihm im Breakdancer warst und die anderen total Schiss hatten?
    Weißt du noch, als ihr früher immer zusammen geschlafen und aus eurer Bettwäsche Höhlen gebaut habt?
     
    „So hat das ja alles keinen Sinn mehr. Basta!“
    Oma und Opa kamen in die Stube.
    Opa warf sich seine dünne blaue Sommerjacke um, und Oma war im Begriff, den Reißverschluss ihrer Strickjacke zu schließen. Aus der Küche hörte sie das Schluchzen von Mama, und wie sie sich ihre Nase putzte.
    „So, tschüss mein Schatz“ – das war Opa, der sich zu ihr herab beugte und ihr einen Kuss auf die Wange gab – „Oma und Opa düsen wieder los.“ In diesem Moment hasste sie ihren Großvater mehr denn je, und doch zwang sie sich zu einem Lächeln, als er über ihre Wange strich und in seiner typischen Art, einen Idioten zu verkörpern, meinte, „Dich haben wir ja wenigstens noch hier. Wenn du Lust hast, kannst du ja mal wieder ein paar Tage bei Oma und Opa Urlaub machen. Dann kann Mama sich auch mal ein bisschen entspannen.“ Er zwinkerte ihr zu. Sie presste die Lippen zusammen und nickte. Klar, nichts würde ich lieber tun, du Arsch, nachdem du gerade hier ausgeflippt bist. Und jetzt tust du so, als ob dir Mama ja soooo wichtig ist… Typisch!
    Oma hatte Tränen in den Augen. Sie war (genau wie Mama) sehr nahe am Wasser gebaut. Höchstwahrscheinlich riss sie sich im Augenblick nur Opa wegen zusammen, doch es kostete sie große Mühe, wie sie ihrem Gesicht entnehmen konnte.
    Sie schlang ihre Arme um den Hals ihrer Oma und küsste sie zärtlich. Und siehe da – eine Träne schwappte über und Oma zog den Rotz hoch, der in ihrer Nase bereits herunter gekrochen war. Dann streichelte sie ihrer Enkelin über die Wange und brachte ein leises, wimmerndes „Tschüss, mein Schatz“ heraus.
    „Tschüss Oma. Ich besuch euch mal wieder, okay?“ Die nächste Träne floss über Omas Wange und sie zog erneut die Nase hoch. Dann nickte sie eifrig, strich ihr übers

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