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Perdido - Das Amulett des Kartenmachers

Titel: Perdido - Das Amulett des Kartenmachers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Stevens
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die Sonne im Westen untergeht«, sagte Hugo.
    Rupert schob sein Fernrohr mit Nachdruck zusammen. »Im Ernst?« Er sah fragend zu Walter hinüber.
    »Allerdings, Admiral. Die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter.«
    »Wie jetzt – jeden Tag?«
    Hugo und Walter nickten gleichzeitig. »Jeden Tag.«
    »Hart Steuerbord, Matrose Muddel!«, zeterte Rupert mit zornrotem Gesicht. »Wir müssen doch der Sonne entgegensegeln, Sie Trottel! Das weiß doch jeder, dass die Sonne im Westen untergeht – und zwar jeden Tag!«

6. Kapitel
    D
ie El Tonto Perdido segelte endlose Wochen dahin. Die Mannschaft arbeitete in zwei Schichten, immer vier Stunden Dienst, dann vier Stunden Ausruhen, Tag und Nacht. Hugo half beim Schrubben der Decks und beim Segelflicken. Außerdem hatte er sich um die Sanduhr des Schiffes zu kümmern. Wenn der Sand durchgelaufen war, musste er das Glas umdrehen und die Stunde ausrufen.
    Jeden Mittag maßen Hugo und Walter mit dem Davis-Quadranten, wie hoch die Sonne über dem Meereshorizont stand. Die Sonne schien durch den Schlitz und das Visier warf einen Schatten auf die Messskalen. Wenn man beide Werte ablas, konnte man ausrechnen, auf welchem Breitengrad sie sich befanden, und mithilfe der geschätzten Durchschnittsgeschwindigkeit berechnete Walter ihre geografische Länge. Die fortlaufenden Eintragungen ihrer Position auf der Karte ergaben, dass das Schiff einen westlichen Kurs einhielt. Wenn auch nur so ungefähr.
    Hugo fand die Seeleute ausgesprochen interessant und beobachtete sie oft heimlich, wenn er nicht gerade Walter zur Hand ging. Wenn die Männer nicht die Segel hissten oder in der Takelageherumkletterten, verbrachten sie ihre Tage mit Gesang und Kartenspiel. Abends vertrieben sich alle, die keine Wache hatten, die Zeit mit Wetten.
    Sie veranstalteten Rennen mit Ratten und Küchenschaben, die sie an Bord gefangen hatten, und wetteten darauf, welches Tier als Erstes über die Ziellinie huschte. Beim Abendessen klopften sie ihren Schiffszwieback vor dem Hineinbeißen auf den Tisch. Dadurch fielen die Maden heraus. Hugo beobachtete oft, wie die Matrosen in munterem Wettstreit feststellten, wer innerhalb einer Minute die meisten Maden vertilgen konnte.
    Sie wetteten sogar auf den Admiral. Sie wetteten, wie lange er durch sein Fernrohr spähen würde, als beobachtete er etwas am leeren Horizont (üblicherweise eine halbe Stunde), und wie viel Zeit er damit verbringen würde, sich das Gesicht zu pudern und die Haare zu kämmen (mindestens anderthalb Stunden). Einmal, bei einem Sturm, wetteten die Matrosen auch darauf, wie oft er sich über die Reling des Schiffes übergeben musste (die zutreffende Schätzung lautete siebzehn Mal).
    Besonders gern hörte Hugo zu, wenn die Männer einander von ihren Fahrten erzählten. Was hatten sie nicht alle für tollkühne Abenteuer auf ihren vielen Reisen erlebt!
    Einer, der allgemein Swipe genannt wurde, ein kleiner, drahtiger Bursche mit strubbligem Schopf und schiefen Zähnen, hatte im Golf von Biskaya gegen Piraten gekämpft, wobei er acht von ihnen eigenhändig ›das Licht ausgepustet‹ hatte. Hugo nahm an, das sollte heißen, dass er sie umgebracht hatte.
    Ein anderer Matrose namens Hawkeye trug zwar eine Augenklappe, behauptete jedoch, mit dem anderen Auge ausgezeichnet sehen zu können. Er gab mächtig mit seiner Sehkraft an und verbrachte ganze Tage im Mastkorb, von wo aus er nachLand Ausschau hielt. Er schilderte, wie er in Indien mit bloßen Händen Seetiger niedergerungen und in den Pyrenäen Gebirgsdrachen bezwungen hatte.
    Rockford war groß wie ein kleines Haus und schien nur aus stahlharten Muskeln zu bestehen. Er behauptete, er habe vom Schlüsselbein bis zum Bauchnabel vier parallel verlaufende Narben, wollte sie aber nicht vorzeigen, weil sie gar zu abstoßend aussähen. Rockford erzählte, wie ihm ein riesiger Wolf mit rasiermesserscharfen Klauen den Oberkörper zerfetzt hatte, dass er dem Vieh aber schließlich doch den Garaus gemacht und es verzehrt habe. Angeblich schmeckte Wolf ganz ähnlich wie Hühnchen.
    Voller Begeisterung und in ehrfürchtigem Ton berichtete Hugo seinem Onkel das Gehörte. Walter schmunzelte nur und sagte jedes Mal: »Meine Güte, die Kerle erzählen ja wirklich die tollsten Geschichten!«
    Abends spielten Hugo und Walter Schach oder beobachteten vom Deck aus die Sterne. Während das Schiff träge schaukelte und knarrte, lehrte Walter seinen Neffen die Sternbilder.
    »Das dort ist der große Wagen«, sagte er

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